Der ungekrönte Erfinder des Reissverschlusses

Käse, Schokolade, elektrische Gitarren, LSD: Viele berühmte Schweizer Erfindungen machen bis heute das Leben interessanter. Doch nicht jeder Schweizer Erfinder ist mit seiner Innovation auch so berühmt geworden, wie er es verdient hätte.

Zu den eher unbekannten Grössen gehört Martin Winterhalter: Er baute den ersten modernen Reissverschluss, verdiente Millionen damit, landete aber schliesslich im Irrenhaus.

Der Vater des Reissverschlusses stammte aus St. Gallen

Martin Othmar Winterhalter führte ein schillerndes, aber mit Sicherheit nicht einfaches Leben. Am 4. Mai 1889 wurde er in St. Fiden im heutigen St. Gallen als jüngstes von sieben Kindern geboren. Seine Eltern und Geschwister kamen von Anfang an nicht mit dem schwierigen Nesthäkchen zurecht: Sie bezeichneten schon den kleinen Martin als undiszipliniert, skrupellos, manisch und abnorm – eben ein Kind, bei dem man nie wisse, woran man sei.

Auch Martin Winterhalters Verhältnis zu Lehrern und Autoritäten war und blieb problematisch. Als Fünfzehnjähriger flog er von der Klosterschule Einsiedeln und machte seine Matura dann an der Privatschule Minerva in Zürich. Kaum hatte er den Abschluss in der Tasche, zog es ihn in die Fremde: Auf einer ausgedehnten Frankreichreise verschleuderte er das gesamte elterliche Erbe und schrieb sich dann als mittelloser Student an der Universität in Leipzig ein. Dort begann er im Jahr 1911 mit dem Studium der Rechtswissenschaften.


Martin Winterhalter erwarb das Patent für Europa und entwickelte das Verschlusssystem „Riri“. (Bild: © Gideon Sundbäck, Wikimedia, GNU)

Da er kein Geld mehr übrig hatte, nutzte Martin Winterhalter sein erfinderisches Talent und seinen Unternehmergeist zum Finanzieren des Jurastudiums. Er hatte ein Bruchband zum Tragen bei Bauchhöhlenbrüchen (Hernien) entwickelt – eigentlich ursprünglich für den Eigenbedarf, da er selbst Hernienpatient war. Doch dann ging er damit in die Serienfertigung und verdiente genug damit, um während des Studiums versorgt zu sein und noch etwas auf die hohe Kante legen zu können.

Nach dem Abschluss des Studiums und seiner Heirat zog Winterhalter im Jahr 1923 zurück nach St. Gallen, aber nur vorübergehend. Dort lernte er nämlich den Amerikaner Guideon Sundbäck kennen, der gerade in der gesamten Schweiz herumreiste, um Abnehmer für einen besonderen Verschluss mit Klemmbacken und Kügelchen zu finden, den er erfunden und gebaut hatte. Sundbäcks Erfindung war gewissermassen eine Vorstufe zum modernen Reissverschluss – und Winterhalter hatte die zündende Idee, wie man diesen Urtyp weiterentwickeln und praktisch nutzbar machen könnte.

Riri und Ririmi

Martin Winterhalter griff Guideon Sundbäcks Idee auf und führte sie weiter. Er erwarb das Patent für Europa und entwickelte das Verschlusssystem „Riri“ – die Abkürzung steht für Rippen und Rillen, die die Kugeln und Klemmbacken des Urtyps ersetzten. Sein grosser Verdienst bestand vor allem darin, dass mit seinem neuen Konzept eine Serienproduktion des revolutionären Verschlusses möglich wurde. In Winterhalters neuer Reissverschlussfabrik in Wuppertal wurden 1925 bereits zehn Kilometer „Ririmi“, wie er den Verschluss nannte, pro Tag hergestellt.


Ehemalige Reißverschlussfabrik RiRi (Bild: © Frank Vincentz, Wikimedia, CC BY-SA 3.0)

Bald darauf expandierte das Unternehmen und gründete im In- und Ausland zahlreiche Produktionsstätten, in denen „Ririmi“ in Lizenz gefertigt wurde.

Im Jahr 1936 liess Winterhalter in Mendrisio einen ganzen Industriekomplex errichten, der seiner Firma Riri als Hauptsitz diente. Der Verlagerung der Produktion waren Rechtsstreitigkeiten mit den deutschen Behörden vorausgegangen. Jahrelang beherrschte Riri den Reissverschlussmarkt weltweit. Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts brachen die Gewinne bei Ririmi ein, weil Reissverschlüsse mittlerweile sehr billig produziert wurden konnten. Doch die Firma in Mendrisio gibt es immer noch. Heute werden dort unter dem Namen RiRi Mayer Edelverschlüsse für internationale Nobelmarken hergestellt.

Kein Denkmal für den Reissverschlusskönig

Wer nach Wuppertal kommt, kann sich dort die historische Riri-Fabrik anschauen. Mit seinem Buch „Der Reissverschlusskönig. Eine helvetische Lebensgeschichte“ setzte der Autor Sascha Stahl Martin Othmar Winterhalter ein literarisches Denkmal, und auch im historischen Lexikon der Schweiz ist der Erfinder vermerkt.



Doch nach einem steinernen oder bronzenen Denkmal oder einer Gedenktafel sucht man in seinem Heimatland vergebens. Vielleicht liegt das daran, dass Winterhalter nicht der einzige war, der an der Erfindung und Entwicklung dieses praktischen Alltagsgegenstands mitgewirkt hat. Oder daran, dass der König der Reissverschlüsse ein so tragisches Ende nahm.

Nach dem Verfall von Winterhalters Patenten und dem Beginn der weltweiten Reissverschluss-Billigproduktion wandte der Unternehmer dem Gewinndenken erneut den Rücken und begann mit dem Verschleudern seines Millionenvermögens. Seine Geschwister wollten dabei nicht tatenlos zusehen, sondern strebten danach, das Geld selbst zu verwalten. Im Jahr 1951 schafften sie es, ihren kleinen, schlauen Bruder wegen seines unliebsamen Verhaltens endgültig für geisteskrank erklären zu lassen. Sie liessen Martin entmündigen und in eine psychiatrische Klinik einliefern. Dort blieb er eingesperrt, bis er 1961 starb.

 

Artikelbild: © phive – shutterstock.com

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Mehr zu Christine Praetorius

Christine Praetorius, Jahrgang 1971, spricht und schreibt über Neues, Altes, Schönes und Kurioses. Ich liebe Sprache und Musik als die grössten von Menschen für Menschen gemachten Freuden – und bleibe gerne länger wach, um ihnen noch etwas hinzuzufügen. Seit 2012 arbeite ich mit meinem Mann Christian als freie Texterin, Autorin und Lektorin.

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