Das Urnäscher Bloch

In Urnäsch im Appenzellerland wird lebendiges Brauchtum gepflegt. Ein besonders uriges Ritual ist das Bloch. Am Montag nach dem Funkensonntag ziehen starke Männer einen geschmückten Baumstamm auf einem Wagen durch die Gegend und musizieren dabei.

Aber warum tun sie das?

Blochmontag ist der Tag nach Funkensonntag

Als Funkensonntag wird der Sonntag nach Aschermittwoch bezeichnet – also der erste Sonntag der Fastenzeit. Seinen Namen erhielt er von der Tradition des Funkenfeuers, die bis heute im schwäbisch-alemannischen Raum, im Vinschgau und im Tiroler Oberland verbreitet ist. An diesem Sonntag wird nach altem Brauch der sogenannte Funken verbrannt, ein hoher Strohhaufen oder Holzturm. Mit ihm verbrennen die Funkentanne und eine daran befestigte Hexenpuppe, die sogenannte Funkenhexe.


An dem Funkensonntag wird nach altem Brauch der sogenannte Funken verbrannt, ein hoher Strohhaufen oder Holzturm. (Bild: © herculaneum79 – fotolia.com)

Das Funkenfeuer passt zu den alten heidnischen Bräuchen ebenso wie zum christlichen Kirchenjahr. Der Tag, an dem der Funken angezündet wird, kann je nach Gemeinde variieren. Die verbrennende oder explodierende Figur ist Teil eines Reinigungs- und Erneuerungsrituals, das als Beginn der Fastenzeit, Sieg des Frühlings oder beides zugleich interpretiert werden kann. Symbolisch verbrannt werden die Sünden und Ausschweifungen der Fasnacht – oder der Winter, über dessen lange Dunkelheit die Wärme und das Licht wieder einmal siegen werden.

In Urnäsch, Hundwil, Schwellbrunn, Stein und Herisau folgt auf den Funkensonntag der Blochmontag. Jede der Gemeinden bildet eine Zugmannschaft, die dann das eigene Bloch, einen mächtigen, geschmückten Baumstamm, auf einem Wagen hinter sich herzieht. Die Männer der Blochgesellschaft transportieren das Bloch von Urnäsch über Waldstatt nach Herisau, dann wird der Wagen zurück nach Urnäsch gezogen und schliesslich vom Förster auf dem Dorfplatz versteigert.


Blick auf das Dorf Urnäsch. (Bild: © Schofför, Wikimedia, CC BY-SA 3.0)

Wagen und Stamm werden bei dem farbenfrohen Umzug stolz in den angrenzenden Gemeinden präsentiert. Die Urnäscher Zugmannschaft besteht dabei traditionell aus erwachsenen Männern, und der Brauch wird nur in Jahren mit ungerader Zahl abgehalten. In den anderen Gemeinden wird das Bloch jedes Jahr von Jungen aus der Unter- bis Oberstufe gezogen und darum auch Buebebloch genannt.

Ein Baumstamm und eine Mannschaft mit Symbolwert

Nach alten Erzählungen bekamen die fleissigen Holzarbeiter jedes Jahr den letzten Stamm, den sie für die winterliche Brennholzversorgung aus dem Wald geholt hatten, vom Waldbesitzer geschenkt. Das Bloch symbolisiert diesen letzten Stamm und symbolisiert damit einerseits den Lohn der Mühen und das nahende Ende des Winters. Beides ist ein Grund zum Feiern, und darum ist das Ziehen des Blochs zwar anstrengende Arbeit, aber gleichzeitig auch ein fröhliches Fest.


Das Appenzeller Brauchtumsmuseum. (Bild: © Schofför, Wikimedia, CC BY-SA 2.5 CH)

Dem Zug voraus laufen Kässelibuben in Clownskostümen und rasseln mit Sammelbüchsen. Vor dem Wagen reiten Burschen in historischen Heroldskostümen. Zur Blochmannschaft gehören neben der aus Sennen, Holzern und Bauern bestehenden Zugmannschaft ein Schmied, ein Jäger, ein Bär und ein Bärenwärter. Ganz vorn auf dem Wagen lässt ein fasnächtlicher Fuhrmann seine lange Peitsche knallen.

Der Schmied fährt hinten auf dem Blochwagen mit und heizt seinen Eisenofen. Er lässt das Ofenrohr kräftig rauchen, feuert von Zeit zu Zeit einen Schwärmer oder Böller ab und hämmert auf seinen Amboss, um das Bloch anzukündigen. Bär und Bärenführer gehen neben dem Wagen her, wobei der Bär immer mal wieder entwischt und zur Freude der Zuschauer wieder eingefangen werden muss.



Zwischen dem Fuhrmann und dem Schmied sitzen die Musikanten. Früher spielten hier ein Pfeifer und ein Trommler, heute sind es meist zwei Blasmusikanten. Sie spielen nicht streng nach Noten, sondern können einfach nach Lust und Laune improvisieren. Der Jäger bzw. Förster, der hinter dem Wagen herreitet, trägt umgehängt die Kluppe, ein altes Holzmass, das der Schublehre ähnlich ist. Nach der Rückkehr des Zuges und der Versteigerung des Blochs an den Höchstbietenden wird im Urnäscher Gasthaus Sonne im Tal fasnächtlich gefeiert.

Diesem und anderen alten Bräuchen sind Ausstellung und Angebote des Appenzeller Brauchtumsmuseums gewidmet. Es befindet sich im Zentrum von Urnäsch und ist in einem schönen alten Haus, einer ehemaligen Apotheke, untergebracht. Hier kann man Volkskunst und Kultur des Appenzellerlandes näher kennenlernen und dabei auch selbst aktiv werden, etwa durch das Erlernen des Naturjodels oder bei einem Rödelen-Kurs.

 

Artikelbild: © PhotostockAR – shutterstock.com

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Mehr zu Christine Praetorius

Christine Praetorius, Jahrgang 1971, spricht und schreibt über Neues, Altes, Schönes und Kurioses. Ich liebe Sprache und Musik als die grössten von Menschen für Menschen gemachten Freuden – und bleibe gerne länger wach, um ihnen noch etwas hinzuzufügen. Seit 2012 arbeite ich mit meinem Mann Christian als freie Texterin, Autorin und Lektorin.

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Kommentare: 1

Candrian Uolf
23.05.2016 23:08
Einen ähnlichen Brauch gab es auch in Graubünden, im Engadin bei der dortigen Giuventüna, Dorfjugend. Dort steht der Brauch jedoch in Zusammenhang mit dem wilden Mann (Wappenhalter des Kantons). Der Baumstamm wird ins Dorf gezogen und dort versteigert. Statt dem Bären, wird der Wilde Mann angekettet mitgeführt, aber auch dieser entwischt immer wieder und verschwindet letztendlich dann doch wieder in den Wäldern. Diesen Brauch gibt es soweit ich das weiss im Engadin nicht mehr. In Domat/Ems wird eine Tanne von der cumpagnia da mats einen Hügel hochgezogen, eventuell ist auch dies ein Überbleibel deselben Brauchtums. Wer weiss ob die Bräuche in einem engeren Zusammenhang stehen - immerhin wird im Namen Urnäsch auch einem rätoromanischen Ursprung vermutet, igl ur bedeutet noch heute der Rand und Urnäsch liegt am Rande des historischen rätoromanischen Gebietes.
Lieber Gruss

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