Bund bremst Listung der historischen Gotthard-Bergstrecke als UNESCO-Weltkulturerbe aus

Die Schweiz gehört bekanntermassen zu den eher kleinen Ländern auf dem europäischen Kontinent. Was hier in Sachen Denkmalpflege zu leisten ist, gehört hingegen auf die grosse Europakarte. Reich an den unterschiedlichsten Naturschönheiten, architektonischen Meisterwerken und historischer Substanz lässt die Schweiz für den Denkmalschutz jede Menge interessanter Spielräume offen.

Schade, wenn diese unter teils fadenscheinigen Argumenten wie bei der Gotthard-Bergstrecke der Eisenbahn zum Opfer fallen. Hier scheiden sich nicht nur die Geister, sondern auch das Geld trennt Verstand und Gefühl für ein nationales Denkmal.

Eisenbahn Bergstrecke am Gotthard ist sehens- und erhaltenswert

Viadukte, Tunnel, Hangbefestigungen – das alles harmonisch eingefügt in eine bezaubernde Bergwelt: So stellt sich die Eisenbahn-Führung am Gotthard derzeit noch dar. Bislang gehört auch diese Bahnstrecke für den Touristenverkehr und natürlich für die Wohnbevölkerung zu einem Highlight der Region. Derzeit ist die Strecke noch recht stark befahren. Das ändert sich allerdings dann, wenn die Gotthard-Bergstrecke nach Eröffnung der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) für den üblichen Eisenbahnverkehr uninteressanter wird.

Dann aber könnte genau diese Bergstrecke zum Weltkulturerbe der UNESCO werden. So wollen es zumindest einige Initiativen, die den weltkulturhistorischen und touristischen Wert der alten Gotthard-Bergstrecke längst erkannt haben.


SBB Re 460 mit CIS EC oberhalb Erstfeld (Bild: David Gubler, Wikimedia, CC)


Bund will Gotthard nicht auf der UNESCO-Liste

Was dem Kanton Uri und vielen begeisterten Verfechtern der Weltkulturerbe-Idee bitter aufstösst, ist die Haltung des Bundes zur Gotthard-Bergstrecke. Der will nämlich die Bahnführung nicht auf der UNESCO-Weltkulturerbeliste sehen. Und das wurde bereits recht deutlich erklärt.

Grund dafür ist offensichtlich wieder einmal das liebe gute Geld. Aus finanzieller Hinsicht wäre eine Erhaltung der Strecke unter den Vorgaben und der Kontrolle der UNESCO zu kostspielig. Insgesamt müssten dann Jahr für Jahr mit Kosten in der Relation von 13 bis 26 Millionen Franken gerechnet werden, da zu einer Bewerbung als Weltkulturerbe auch der technische und wirtschaftliche Weiterbetrieb der Strecke gehören würde.

Allein die grosse Spanne in der Millionenangabe ist verwunderlich. Weiss man es nicht besser, oder weiss man es gar nicht? Diese Frage stellen sich auch Befürworter der Weltkulturerbe-Kandidatur, die mit der voreilig hingelegten Ablehnung des Bundes so gar nicht einverstanden sind.


Ölzug auf der Gotthardlinie bei Gurtnellen (Bild: David Gubler, Wikimedia, CC)


Gotthard ist mehr als Gleis und Steine

Die Gotthard-Bahnstrecke in ihrer historischen Bergführung ist mehr als einfach nur eine Bahntrasse. Sie vereint verkehrsarchitektonische Spitzenleistungen mit einer fast schon modellhaften Optik und stellt für alle betroffenen Regionen in der Schweiz auch ein gutes Stück der eigenen Geschichte dar. Daran wird auch die Neat als neue Verkehrsführung nichts ändern. Es wäre nur schade, wenn es jetzt völlig ruhig auf der Gotthard-Bergstrecke werden würde.

Dann nämlich würden hier auch interessierte Touristen und Fans alpiner Bahnführungen vermehrt ausbleiben. Noch fahren die Züge beispielsweise über den Natursteinviadukt bei Wassen. Dass das so bleibt, ist angeblich auch die Absicht des Bundes. Zumindest will man erst einmal beobachten, wie sich das nach der Eröffnung der Neat gestaltet. Immerhin dürfe ein fortgesetzter Bahnbetrieb nicht zur Kostenfalle für die Betreiber werden.

Allerdings sollte sich der Bund auch einmal klar darüber werden, dass die Gotthard-Bergstrecke so etwas wie ein nationales Symbol der Schweiz ist. Will man dieses abschaffen oder dem Verfall überlassen, dann käme das einer Geschichtsleugnung und Schmälerung der Attraktivität der Schweiz gleich. Das befürchten zumindest die Befürworter der Weltkulturerbe-Listung.


Gotthard-IR nach Locarno an der Gotthard-Nordrampe zwischen Intschi und Gurtnellen (Bild: David Gubler, Wikimedia, CC)


Bund macht sich unglaubwürdig

In gewisser Weise macht sich der Bund mit seiner Argumentation zur Gotthard-Bahnstrecke auch unglaubwürdig. Auf der einen Seite wird über eine zweite Tunnel-Röhre für den Autoverkehr positiv diskutiert, auf der anderen Seite ist es ein touristischer Anziehungsmagnet nicht wert, umfassend erhalten und weltbekannt gemacht zu werden.


Die nördliche Einfahrt des Gotthardtunnels (Bild: Markus Schweiß, Wikimedia. CC)


Hier sei den Verantwortlichen des Bundes einmal nahegelegt, dass die Erhaltung der Gotthard-Bergstrecke der Bahn nach UNESCO-Regeln nicht nur Geld kostet, sondern auch durchaus Geld einspielen kann. Allerdings müssten dann die phantasielos kühlen Finanzrechner an den verantwortlichen Stellen auch einmal mit Herzblut ein Stück weiterdenken.

Vielleicht sollte man einmal daran denken, dass selbst relativ kleine Bauwerke, deklariert als UNESCO-Weltkulturerbe, wahre Menschenströme anlocken und damit auch die Region wirtschaftlich beeinflussen können. Eine Touristenbahn auf dem Gotthard – was wäre für echte Schweiz-, Bahn- und Alpenfans wohl verlockender? Inwieweit sich hier die Verantwortlichen mehr Gedanken als um das liebe Geld machen, bleibt noch offen.

Auch wenn eine letztendliche Entscheidung noch nicht gefallen ist, stehen die Chancen für die Gotthard-Bergstrecke als UNESCO-Weltkulturerbe derzeit denkbar schlecht. Schon weil diese Idee verneint wird, bevor wirklich richtig darüber nachgedacht wurde. Damit wird von vorneherein eine Variante ausgeschlossen, bevor sie wirklich geprüft und durchgerechnet ist.

Bei Weltkultur geht es nicht nur ums Rechnen. Vielleicht können sich die Verantwortlichen auch einmal im Fühlen probieren: Wie fühlt es sich an, wenn die Schweiz über kurz oder lang ein Symbol ihrer infrastrukturellen Identität verliert, nur weil dafür angeblich kein Geld da ist? Wie fühlt es sich an, als Schweizer der Welt ein Stück Kulturerbe vorzuenthalten, nur weil Denkmalschutz im globalen Massstab eben auch Geld kostet?



Spannende Fragen, die auch die NZZ via Leserbrief erreichen, nachdem dort am 20. April 2014 die UNESCO-Weltkulturerbe-Diskussion rund um die Gotthard-Bergstrecke publik gemacht wurde.

So äussern sich Leser in Leserbriefen unter anderem besorgt darüber, wie es wirkt, wenn „das wohl wichtigste Denkmal der Schweiz des 19. und 20. Jahrhunderts mit europäischer Ausstrahlung nur als Kostenfaktor gesehen wird und nicht auch als Schatz …“ So zumindest sieht es Kilian T. Elsasser, Leiter Industriekultur bei ICOMOS Suisse, Luzern.

Text: Olaf Hoffmann

 

Oberstes Bild: Eisenbahn Bergstrecke am Gotthard ist sehens- und erhaltenswert (Bild: Ttrainer, Wikimedia, CC)

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