Wie aus dem gesamten Tessiner Dorf Scudellate ein Hotel wird

Tessiner Bergdorf Scudelatte

Ganz im Süden des Kantons Tessin liegt auf einer Höhe von 904 m ü. M. das ehemalige Schmugglerdorf Scudellate. Die Nähe zu Italien prägte seine Geschichte. So war das Dorf stets mit dem italienischen Erbonne verbunden, getrennt durch die Landesgrenze.

Hier, am Fusse des Monte Generoso konnte dank Unterstützung durch die Schweizerische Berghilfe ein interessantes Projekt verwirklicht werden: Das kleine Bergdorf empfängt künftig als eines der grössten Hotels der Schweiz Feriengäste.

Miteinander verbunden: Erbonne in Italien und Scudelatte in der Schweiz

Sowohl das schweizerische Scudellate im Valle di Muggio als auch das italienische Erbonne im Valle d’Intelvi konnten ihren ursprünglichen Charakter bewahren. Allerdings gingen in den letzten Jahrzehnten die Bevölkerungszahlen so weit zurück, dass heute vor allem Touristen und Ruhesuchende anzutreffen sind.


Erbonne
Die Bewohner vom italienischen Erbonne und jene aus dem schweizerischen Scudelatte fühlen sich seit Jahrhunderten verbunden (Bild: asklam – shutterstock.com)

Die Einwohner beider Dörfer fühlten nie eine Trennung, die Landesgrenze spielte für sie kaum eine Rolle. Verbunden waren sie stets dank einer Brücke und eines Maultierpfades. Nur wenige Kilometer liegen zwischen beiden Orten. Die Region wurde vom Herzogtum Mailand aber auch von der Eidgenossenschaft beansprucht. Erst 1752 regelte die Landesgrenze die Besitzansprüche. Der seit 1604 anhaltende Grenzstreit dauerte jedoch noch bis ca. 1768 an.

Das Dorfbild von Scudellate ist im Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz aufgeführt und zählt zu den Ortsbildern von nationaler Bedeutung. Der Ort ist in seiner Gesamtheit eine Sehenswürdigkeit.

Da Scudellate zuletzt kaum noch 20 Einwohner zählte, stellte sich die Frage, wie die Zukunft des Dorfes aussehen soll.

Scudellate wird zum Albergo diffuso

Wegen fehlender Perspektiven wandert die junge Generation aus vielen Bergdörfern ab. Und so stellt sich immer wieder die Frage, wie die Zukunft der Ortschaften aussehen soll. Für Scudellate wurde eine Lösung gefunden, die sehr erfolgsversprechend ist. Das Tessiner Dorf wird zu einem Albergo diffuso: einem „verstreuten Hotel“. Geplant ist, das gesamte Bergdorf zu einem Hotel umzunutzen.

Die unterschiedlichen Gebäude des Dorfes werden in das Hotelprojekt einbezogen. Schon jetzt können zwei Unterkünfte Gäste empfangen. In wenigen Jahren sollen die übrigen fertiggestellt werden. Dort, wo einst Kinder unterrichtet wurden, nämlich im alten Schulhaus, werden günstige Mehrbettzimmer zur Verfügung gestellt. Die Rezeption ist im alten Restaurant des Dorfes, welches komplett renoviert wurde, untergebracht. Hier gibt es ausserdem ein kleines Hotel und einen Speisesaal. Schon im kommenden Jahr wird ein Bed & Breakfast für anspruchsvolle Gäste eröffnet.

Ein ganzes Dorf als Hotel – von der Idee bis zur Umsetzung

Der Sohn der letzten Wirte von Scudellate gab den Anstoss für das Projekt. Seine Eltern hatten das Restaurant in zweiter Generation geführt, bis sie sich aus Altersgründen zur Ruhe setzten. Oscar Piffaretti sagt dazu: „Ich konnte mir nicht vorstellen, das Restaurant einfach aufzugeben. Der Ort ist zu schön und er ist meine Heimat.“ Ihm war aber auch klar, dass der Betrieb ohne zusätzliche Angebote nicht würde überleben können. Vor allem fehlten Übernachtungsmöglichkeiten.

Die Osteria Manciana hatte einst sein Grossvater erbaut. So ergriff Oscar Piffaretti die Initiative und gründete mit seinem Arbeitskollegen Claudio Zanini die Stiftung „Fondazione per la salvaguardia dell’alta Valle di Muggio“. Nachdem diese für das ehemalige Schulhaus das Baurecht erhalten hatte, liess er es zu einem Gästehaus umbauen, während weitere Bauprojekte bereits geplant wurden.

Die Umnutzung von Scudellate zu einem Albergo diffuso wäre ohne die Unterstützung durch die Schweizer Berghilfe nicht möglich. Zuständig ist der Berghilfe-Experte Aurelio Casanova, der sich einer aussergewöhnlich grossen Aufgabe gegenübersah. Es handelt sich nach seiner Aussage um das anspruchsvollste Projekt, welches er bisher prüfte.

Der im Kanton Graubünden lebende Casanova spricht fliessend Italienisch und gehört zu den 32 ehrenamtlichen Experten der Schweizer Berghilfe. Diese verschaffen sich jeweils vor Ort einen Überblick über neue Projekte und prüfen die mögliche Umsetzung. Pro Jahr können mehr als 30 Millionen Schweizer Franken aus Spendengeldern für 500 bis 600 Projekte zur Verfügung gestellt werden. Aurelio Casanova kam nach seiner Pensionierung zur Berghilfe. Der Geometer und Ingenieur war zuerst einmal überrascht, als die ungewöhnlich umfangreiche Anfrage aus dem Tessin bei ihm eintraf. Normalerweise wird er wegen kleineren Gewerbeprojekten oder Stallbauten kontaktiert. Ein ganzes Dorf umzufunktionieren, dass war eine ganz neue Herausforderung. Bei der Beurteilung wurde er von der Tourismus-Fachexpertin Eva Brechtbühl unterstützt.

Das hintere Valle Muggio ist eine ganz besondere Region und das authentische Scudellate mit seinen verwinkelten Gassen und der beinahe unberührten Natur ringsum zeigte sich als optimal für das geplante Vorhaben. Die Begeisterung und Kompetenz der Stiftung „Fondazione per la salvaguardia dell’alta Valle di Muggio“ überzeugten Casanova.


Muggiotal
Ursprüngliche Natur und reiches Kulturerbe im Muggiotal (Bild: aksalam – shutterstock.com)

Der Tourismus bringt Leben und neue Arbeitsplätze nach Scudellate

Die Stiftung Berghilfe weiss bereits aus anderen Projekten, dass Tourismus eine gute Möglichkeit ist, entlegene Regionen am Leben zu halten. Während einerseits Menschen aus dem In- und Ausland die Möglichkeit bekommen, in den schönsten Bergregionen einzigartige Ferientage zu erleben, werden für die hier lebenden Menschen Arbeitsplätze geschaffen. In der ersten Phase entstehen in Scudellate vier neue Jobs, zukünftig werden wahrscheinlich weitere hinzukommen.

Muggiotal kulturelles und historisches Erbe

Möchten Sie nach Scudellate reisen, können Sie dies mit dem eigenen Pkw oder dem Postauto tun, welches mehrmals täglich das Bergdorf anfährt. Bereits auf der Fahrt werden Sie interessante Gebäude entdecken, die verstreut und teilweise sehr gut erhalten sind.


Alte Mühle im Muggiotal
Die alte Mühle von Bruzella im Muggiotal gehört zu den beliebstesten Sehenswürdigkeiten der Region (Bild: Stefano Ember- shutterstock.com)

Viele stehen unter Denkmalschutz. Der Parco delle Gole della Breggia ist ein wunderschönes Naturschutzgebiet.

Ein spezieller Zeitzeuge kann in der Region besichtigt werden: der Vogelfangturm Roccolo de Scudellate. Dieser gemauerte Turm wurde einst für die Jagd von Singvögeln genutzt. Heute undenkbar, war der Vogelfang für frühere Generationen lebenswichtig.

Zusammenarbeit Schweizer Berghilfe und Denkmalpflege

Durch Unterstützung der Schweizer Berghilfe können historisch wertvolle Dörfer und Gebäude in den Bergregionen erhalten bleiben. Sie leistet finanzielle Hilfe und trifft entsprechende Abklärungen, wo nötig in Zusammenarbeit mit der kantonalen Denkmalpflege. Ihr Ziel ist es, für die in den Bergregionen lebenden Menschen die Existenzgrundlage zu erhalten oder neu zu schaffen. Gleichzeitig gilt es, regionales Kulturerbe sowie die Landschaft zu pflegen.

Sie möchten Scudellate besuchen oder mehr über das umfangreiche Projekt erfahren? Dann finden Sie nachfolgend die wichtigsten Kontaktdaten:

  • Cancelleria comunale, Piazza dal Cumün
  • 6835 Morbio Superiore
  • Tel: +41 91 695 20 20
  • info@comunebreggia.ch
  • www.comunebreggia.ch

 

Titelbild: Stefano Ember © shutterstock.com

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