Royal Baden geht in die zweite Verlängerung
VON Christine Praetorius Kunst Projekte
Ab Juni 2016 sollte der Kulturbetrieb im ältesten Kino Badens eingestellt werden. Stattdessen war geplant, in dem erhaltenswerten Gebäude Läden einzurichten. Nun hat die Stadt das Mietverhältnis zum zweiten Mal verlängert – vorläufig bis Ende Juni 2017.
Für die Betreiber des „Royal“ wird die aktuelle Saison trotzdem die letzte sein: Ab Juni soll ein neuer Verein den Betrieb fortsetzen.
Vertrag für kulturelle Zwischennutzung war ausgelaufen
Das 1913 errichtete Gebäude des Kino Royal ist im kommunalen Inventar der Kulturgüter als „erhaltenswert“ inventarisiert. Seine Grundeigentümerin ist die Zuriba AG, die Stadt Baden ist lediglich die Hauptmieterin. Untermieter ist der ehrenamtliche, nicht kommerziell ausgerichtete Verein Royal Baden, der in dem historischen Kino seit 2011 ein abwechslungsreiches Kulturprogramm anbietet. Reguläre Filmvorführungen finden im Royal schon seit dem Jahr 2008 nicht mehr statt.
Liebe und Leidenschaft der aktuellen Betreiber gehören vor allem der sogenannten Nischenkultur. Auf der multimedialen Bühne des Royal ist Raum für Autorenlesungen, Konzerte, Trashmovies, alternative und experimentelle Kunst, Discos, internationale Begegnungen und kulturellen Austausch aller Art. Auf der grossen Leinwand werden unter anderem Werke von Schweizer Filmemacher gezeigt, die kaum eine Chance hätten, es in die kommerziellen Kinos zu schaffen.
Der befristete Vertrag für die kulturelle Zwischennutzung konnte bereits einmal verlängert werden, doch einer zweiten Verlängerung stimmte die Zuriba AG nicht zu. Das Royal ist gut besucht und einzigartig in Baden, weshalb die angekündigte Schliessung auf viel Enttäuschung und Unverständnis stiess. Die Stadt Baden bedauerte ebenfalls, dass damit im Juni 2016 eine Spielzeit von 103 Jahren zu Ende gehen sollte. Doch sie konnte den Entscheid der Grundeigentümer nicht verhindern.
Zwar hatte die Stadt versprochen, sich nach Kräften dafür einzusetzen, dass der Verein Kino Royal den Kulturbetrieb an einem anderen Standort weiterführen kann. Doch die Suche nach einem adäquaten Gebäude war erfolglos geblieben. Denn viele Veranstaltungen sind konzeptionell oder technisch an das alte Kino und den Themenbereich Film und Bild gebunden, und dazu hätte auch das neue Gebäude passen müssen. Es wäre also wenig sinnvoll gewesen, das Royal z. B. in eine ausgediente Industriehalle umzusiedeln.
Betreiberwechsel trotz Verlängerung des Nutzungsvertrages
Jetzt haben sich die Stadt Baden und die Zuriba AG auf eine zweite Verlängerung geeinigt – vor allem deshalb, weil die Eigentümerin entgegen früherer Behauptungen im Moment doch noch keine Verwendung für das Gebäude hat. Ein Umzug steht also – zumindest vorerst – nicht mehr auf dem Programm. Trotzdem hat der Verein Royal Baden für Juni 2016 seinen Rückzug aus dem Royal angekündigt.
Marc Angst, einer der Verantwortlichen der Betreibergruppe, erklärte in einem offenen Brief, er sehe grössere Zukunftschancen in einem Generationswechsel und einem von den Missklängen der Vergangenheit unbelasteten Neustart. Bis es soweit ist, will der Verein aber noch einmal alle Reserven mobilisieren und in vertrauter Manier sein Bestes geben. Wer das Royal Baden noch nicht kennt, hat bis Ende Mai also viele gute Gelegenheiten, das bei einer der geplanten Veranstaltungen oder beim angekündigten Abschlussfest nachzuholen.
Die lange Geschichte des Kino Royal
Der eingeschossige, langgezogene Saalbau des Kinos wurde von dem Badener Architekten Arthur Betschon gebaut. Er liegt an der Kreuzung Haselstrasse/Bahnhofstrasse und damit ideal zwischen der Badener Altstadt, dem Industrie- und Bäderquartier. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft befindet sich der Kurpark Baden. Besucher gelangen durch den symmetrischen, vorgelagerten Vestibültrakt in den eigentlichen Kinosaal, der 400 Sitzplätze bietet.
Bei seiner Eröffnung am 1. Juni 1913 hiess das Kino Royal noch Radium. Es war das erste Kino in Baden, und die neue Art der Unterhaltung erregte in der überwiegend katholischen Stadt schnell Misstrauen. Schliesslich erliess der Stadtrat sogar ein Kinoverbot, um Obrigkeit und Bürger vor drohenden seelischen und geistigen Schäden durch anrüchige Filme zu bewahren. Es ist einer Französin namens Marie Antoine zu verdanken, dass der Aargauer Regierungsrat das generelle Kinoverbot später wieder aufhob.
Als Eugen Sterk, der Neffe Kinopioniers Jean Speck, das Radium übernahm, benannte er es in Royal um. Das historische Kino blieb bis 2008 in Betrieb, zuletzt als kleines Studiokino mit nur noch 160 Sitzplätzen. Nach einem Besitzerwechsel und Umbau wurde es ab 2010 auch für Kulturfestivals wie das Animationsfilmfestival „Fantoche“ genutzt und konnte für besondere Anlässe gemietet werden.
Das Royal ist der Abrissbirne schon einmal ganz knapp entgangen: Im Jahr 2010 wollten die Eigentümer das alte Kino dem Erdboden gleichmachen und im Rahmen einer Gesamtüberbauung an seiner Stelle Parkflächen entstehen lassen. Doch eine grosse Interessengemeinschaft verhinderte dieses Vorhaben: Sie übergab dem Stadtrat eine entsprechende Petition, die von 3‘900 Personen unterzeichnet war. So überlebte das Royal als alternative Kulturbühne – aber eben nur vorläufig.
Konsum statt Kultur: Eine schwer verständliche Entscheidung
Nachdem der geplante Abbruch im Winter 2010 verhindert werden konnte, setzte sich der neu gegründete Verein „Kulturbetrieb Royal“ für den Erhalt und Weiterbetrieb des Royal als nicht kommerzielle Kulturstätte ein. Dafür wurde auch der ehemalige Kinosaal umgebaut und mit einer grossen Bar und einer Bühne ausgestattet. Ihre damaligen Pläne zur Gesamtüberbauung hatten die Eigentümer inzwischen aufgegeben; das Kinogebäude stand also keinem solchen Projekt mehr im Weg.
Der Entschluss, den Kulturbetrieb zu stoppen und im ehemaligen Kinogebäude Einkaufsläden oder Büros einzurichten, wurde von Kritikern und Gegnern vielfach als Retourkutsche bzw. eine Art Rache an der Stadt gesehen: Baden konnte zwar die Gesamtüberbauung verhindern, doch durch den Verlust des bisherigen Royal würde die Stadt um eine wichtige Attraktion ärmer und ihr vermeintlicher Sieg letztlich zur Niederlage.
Dass der Interessenskonflikt zwischen Eigentümerin, Mieterin und Untermietern so ausgehen sollte, war logisch nicht nachvollziehbar und nicht nur für Künstler, Kulturschaffende, Freunde guter Unterhaltung und Nachtschwärmer in Baden ein herber Schlag.
Mehr Denkmalschutz könnte helfen
Auch aus denkmalpflegerischer Sicht wäre der grundsätzlich vollkommen unnötige Umbau keine gute Lösung, sondern unterm Strich eher ein Armutszeugnis. Da das Royal als erhaltenswertes Gebäude ohnehin stehen bleiben wird, könnte es ebenso gut auch auf unbestimmte Zeit eine lebendige und unabhängige Kulturbühne bleiben. Doch damit war und ist die Zuriba AG nicht einverstanden. Die Pläne sind zwar zum Teil abgeändert und noch einmal aufgeschoben worden, doch vom Tisch sind sie damit nicht.
Es wäre mehr als schade, wenn aus dem ältesten Kino der Schweiz ausgerechnet ein profaner Konsumtempel oder ein Bürogebäude werden müsste. Und es ist mehr als verständlich, dass der Verein Royal Baden trotz aller Freude über die zweite Verlängerung mit seiner Kraft und seinen Nerven am Ende ist. Das Vertrauen zwischen den Interessensgruppen ist stark belastet; in seinem offenen Brief spricht Marc Angst von einer blockierten Situation, von möglichen Vorbehalten und der Unmöglichkeit, als Betreiberverein hinter die Kulissen des Gesamtprojekts zu schauen.
Nach wie haben Baden und die Zuriba nicht endgültig entschieden, wie es mit dem Postareal und damit dem historischen Kinogebäude weitergehen soll. Und auch eine denkmalpflegerische Aufarbeitung des Ganzen – gegebenenfalls mit einer Ausweitung des Schutzstatus für das historische Kino, um hier ein- für allemal klare Verhältnisse zu schaffen – steht weiterhin aus. Wer der Nachfolger des jetzigen Betreibervereins sein wird, ist ebenfalls noch nicht klar. Doch egal, wer ab Juni im Royal das Ruder übernimmt: Er wird wieder mit geborgter Zeit und ungewissem Ausgang arbeiten müssen.
Artikelbild: © Andi Hofmann, Royal Baden