Nünegg, eine der grössten Burganlagen im Kanton Luzern, ist derzeit eine Baustelle
VON belmedia Redaktion Denkmalpflege
Burganlagen, Burgruinen oder Orte, an denen früher eine Burg stand, gibt es in allen Regionen der Schweiz. Nicht umsonst wird unser Land auch als „Burgenparadies“ bezeichnet.
Das Mittelalter und seine Burgen faszinieren viele Menschen. Für einige sind Burgruinen willkommene Ausflugs- und Wanderziele, andere beschäftigen sich mit der Geschichte. Privatpersonen, Vereine, Archäologie und Denkmalpflege setzen sich für die Erforschung und den Erhalt der geheimnisvollen Zeitzeugen ein.
Derzeit findet in Lieli, Kt. Luzern, die umfangreiche Restaurierung der Burgruine Nünegg statt. Sie gehört neben der bei Alberwil gelegenen Burganlage Kastelen zu den imposantesten des Kantons.
Die Geschichte der Burganlage Nünegg
Obwohl heute nur noch eine Ruine, ist die Burg Nünegg noch immer ein beachtliches Bauwerk. Ihren Namen verdankt sie ihrem neuneckigen, unregelmässigen Grundriss. Sie wurde als Stammsitz der Herren von Lieli in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erbaut. Diese standen als Ministeriale im Dienste der Kyburger und wurden 1223 erstmals aktenkundig. Ein Eichenbalken im ersten Obergeschoss ist ein wichtiger Anhaltspunkt bei der Datierung der Baugeschichte. Er wurde dendrochronologisch untersucht und lässt den Schluss zu, dass er in den 80er-Jahren des 13. Jahrhunderts eingebaut wurde.
Die nahegelegenen Johanniterhäuser kamen in den Genuss grosszügiger Spenden der religiösen Burgherren. Walter von Lieli war Mitglied des Johanniterordens in Hohenrain, sein Sohn in Hitzkirch. 1230 wurde urkundlich die Schenkung verschiedener Güter bestätigt.
Das Geschlecht der Kyburger starb 1264 aus, worauf die Herren von Lieli in den Dienst der Habsburger eintraten. Keine 100 Jahre später, ca. 1350, starb auch der letzte Stammhalter der von Lieli aus. In der Folgezeit wechselten die Besitzer der Burg mehrfach.
Während der Schlacht von Sempach zerstörten die Eidgenossen viele Burganlagen der Österreicher auf Aargauer Gebiet. So ging im Jahr 1386 auch die Burg Nünegg in Flammen auf. Sie wurde wahrscheinlich nicht wieder komplett aufgebaut und war bald dem Zerfall preisgegeben. Über Umwege kam die Ruine mit allen dazugehörenden Gütern in den Besitz der Herren von Heidegg. Zwar deuten die Fensteröffnungen des Bergfrieds darauf hin, dass im späten Mittelalter zumindest teilweise nochmals Bauarbeiten vorgenommen wurden, Informationen darüber gibt es jedoch leider keine. So ist in den schriftlichen Quellen auch nichts über spätere Bewohner bekannt.
Letztendlich ereilte die einst stolze Burganlage das gleiche Schicksal wie viele andere: Sie wurde von der Bevölkerung der Region als Steinbruch genutzt, bevor sie schliesslich gemeinsam mit Heidegg ca. 1700 an den Kanton Luzern verkauft wurde. Dieser veranlasste zwischen 1929 und 1931 sowie im Jahr 1984 Erneuerungen und Konservierungen.
Seit 2011 ist die Burganlage Nünegg aufgrund statischer Probleme gesperrt
Nünegg gilt, zusammen mit dem Schloss Heidegg, als beliebtes Ausflugsziel, und kein anderes Baudenkmal im Seetal zieht mehr Besucher an. Seit Anfang dieses Jahrhunderts fielen mehrfach kleinere Frostschäden auf, weshalb am Mauerwerk immer wieder Arbeiten stattfanden. Nachdem Risse von bedenklichem Ausmass festgestellt wurden, nahm man seit 2008 regelmässige Messungen vor. Gleichzeitig mussten einzelne Areale der Burganlage für die Besucher gesperrt werden.
Vor vier Jahren, im Sommer 2011, wurde die Burgruine Nünegg komplett für den Publikumsverkehr gesperrt und fanden notfallmässig erste statische Sicherungsarbeiten statt. Auf keinen Fall sollte dieses imposante und denkmalgeschützte Bauwerk seinem Schicksal überlassen werden: Seit 2014 läuft eine umfassende Restaurierung, die fachlich von der kantonalen Denkmalpflege und der Archäologie begleitet wird. Zu den baulichen Massnahmen gehört unter anderem, dass die Mauerkronen gegen das Eindringen von Wasser geschützt und gefestigt werden. Diese Arbeiten verlaufen planmässig und werden wahrscheinlich im Herbst 2015 abgeschlossen sein.
Wie die uralte Burganlage mit modernen Mitteln aufgewertet wird
Für die Rettung der Burgruine Nünegg werden keine Kosten gescheut. Der Kostenvoranschlag beläuft sich auf 2,3 Millionen Schweizer Franken. 450’000 Franken übernimmt das Bundesamt für Kultur. Eine einzigartige Attraktion wird dank der grosszügigen Spenden zweier Stiftungen, nämlich der Paul Herzog Stiftung und der Albert Köchlin Stiftung, möglich: Wer nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten die Burg besucht, kann einen Blick vom Bergfried geniessen, so wie einst die Burgherren und ihre Familien. Im Inneren des Turms installiert man eine Wendeltreppe, die auf eine Aussichtsplattform über den Mauerkronen führt. Von hier schweift der Blick nicht nur weit übers Land, sondern vor allem auch über die gewaltige Burganlage.
Im Juni hatte die Bevölkerung die Möglichkeit, sich vor Ort über die spannenden Bauarbeiten zu informieren. Wer hat schon Gelegenheit, sich eine Burgensanierung vor Ort anzusehen und Informationen aus erster Hand zu bekommen? Interessierte bekamen nicht nur Gelegenheit, Fragen zu stellen. Sie erfuhren beispielsweise auch, welche Erkenntnisse das Mauerwerk bezüglich der Geschichte der Burg liefert. Ausserdem bekam die Bevölkerung eine Vorstellung davon, wie „ihre“ Burgruine nach der Sanierung aussehen wird.
Die typische Umgebung mittelalterlicher Burganlagen – auch die Natur profitiert von den Restaurierungsarbeiten
Während Biodiversität seit Jahren glücklicherweise ein Dauerthema in der Landwirtschaft ist, geht die Dienststelle Landwirtschaft und Wald des Kantons Luzern bei diesem Projekt noch einen Schritt weiter: Die Umgebung der Burganlage wird die Artenvielfalt wiederbekommen, die sie vor Hunderten von Jahren hatte. Bald werden hier alte Wildobstsorten gedeihen und die Kleinäcker mit der fürs Mittelalter typischen Dreifelderwirtschaft bestellt. Durch diese hervorragende ökologische Aufwertung bekommen nicht nur selten gewordene Pflanzen einen neuen Lebensraum, sondern natürlich auch die Tierwelt. So werden beispielsweise auch Fledermäuse und seltene Vögel in der Burg und deren Umgebung ein artgerechtes Zuhause finden. Schon heute fühlt sich hier eine Flechte, die sonst nirgends in der Schweiz anzutreffen ist, wohl: Die Trondheimer Gruftflechte breitet sich auf dem alten Gemäuer aus.
Allgemeine Informationen über die Burganlage Nünegg in Lieli
Die unter dem Schutz von Kanton und Eidgenossenschaft stehende Burgruine Nünegg ist auch als Burg Lieli bekannt. Sie liegt östlich vom Baldegger See und oberhalb von Lieli, direkt am Rand eines Bachtobels und Waldes. Es sind einige wenige Mauerreste des Wohngebäudes erhalten geblieben, ebenso der viereckige Bergfried, an den sich eine circa zwölf Meter hohe Ringmauer anschliesst. In wenigen Monaten wird die Burganlage wieder zugänglich sein. Wer mit dem Auto anreist, spaziert in rund zehn Minuten zur Ruine. Es führt auch ein schöner, offizieller Wanderweg zur Burg Nünegg. Vom Bahnhof Hitzkirch läuft man circa 80 Minuten.
Die Sage von den Burganlagen am Baldeggersee
Vor einiger Zeit erzählte mir eine Wanderkollegin eine Sage, in der auch die Burg Nünegg eine Rolle spielt. Eigentlich bin ich erst dadurch auf diese Burgen am Baldeggersee aufmerksam geworden und habe beim Googeln erfahren, dass die Burgruine derzeit restauriert wird.
Einst standen an dem kleinen, idyllischen Baldeggersee mehrere Burgen. In der Schlacht um Sempach fielen die Burganlagen von Baldegg, Lieli (Nünegg), Oberreinach und Richensee den Eidgenossen zum Opfer. Nachdem diese die Schlacht bei Sempach erfolgreich geschlagen hatten, wüteten sie in der Umgebung und zerstörten die Burgen der Österreicher. Die lodernden Feuer waren bis hinüber zur Burg Heidegg zu sehen, wo an diesem Tage nur die Burgherrin und ihre Mägde zu Hause waren.
Von panischer Angst erfüllt mussten sie mit ansehen, wie die Gemäuer ihrer Freunde und Nachbarn brannten. Die Herrin auf der Burg Baldegg war als warmherzige Edelfrau bekannt, und niemand war da, der sie und ihre Mägde hätte beschützen können. Als ihr vom Dorf zugetragen wurde, dass die Nachbarburg Nünegg ebenfalls verloren war, wurde ihr bewusst, dass Heidegg als nächste den Eidgenossen in die Hände fallen würde. Ein Bauernbub aus dem Dorf berichtete von Truppen der Eidgenossen, die sich bereits durch den dichten Wald den Weg hinauf zum Schloss Heidegg bahnten.
Die Frauen mussten mit dem Schlimmsten rechnen. Da besann sich die fromme Burgherrin auf ihren Glauben und fiel vor Gott auf die Knie. Sie gelobte, dass sie, wenn ihnen nichts geschähe, der Muttergottes zu Ehren eine Kapelle errichten würde. Kaum hatte sie ihr Gebet gesprochen, wurde es mitten am Tag stockdunkel. Dichter Nebel legte sich um die Burg und machte den Wald undurchdringbar. Am nächsten Morgen brach der Tag an wie immer. Es war den Frauen nichts geschehen, und draussen lag friedlich und still der Wald. Nur aus Richtung der Burg Nünegg sahen sie noch immer Rauchschwaden aufsteigen. Heidegg war verschont geblieben.
Die Burgherrin hielt ihr Versprechen und liess eine Kapelle erbauen, die bis heute zu besichtigen ist. Obwohl dieses Ereignis 1386 stattgefunden haben soll, konnte nachgewiesen werden, dass die Schlosskapelle Ende des 15. Jahrhunderts errichtet wurde. Die Inschrift bezieht sich jedoch auf die sagenhafte Rettung der Burg Heidegg: „Procul estote profani“.
Abschliessend möchte ich noch zwei im Text vorkommende Begriffe näher erläutern:
- Dendrochronologie ist die Wissenschaft, die mithilfe der Jahresringfolge das Alter von Bäumen bestimmt. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus dendron (Baum) und chronos (Zeit); logos heisst Lehre oder Wissenschaft.Denkmalpflege und Bauforschung machen sich diese Wissenschaft zunutze, um Bauwerke anhand der als Baumaterial verwendeten Hölzer zeitlich einordnen zu können. Wie genau die Datierung erfolgen kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Entscheidend ist vor allem, ob das Holz erstmals Verwendung fand oder früher schon in anderen Häusern verbaut worden war. In Dachstöcken mussten öfter Reparaturen durchgeführt werden, weshalb das hier vorhandene Holz nicht immer zuverlässige Auskünfte bezüglich des Alters eines Gebäudes geben kann.
Ein Türsturz ist in der Regel im Original erhalten, so dass hier ziemlich genaue Jahresangaben möglich sind. Ebenfalls für die dendrochronologische Bestimmung verwertbar sind, wie in der Burganlage Nünegg, die Balken im Aborterker, der mittelalterlichen Toilette.
- Dreifelderwirtschaft war der typische Ackerbau des Hochmittelalters. Dabei liess der Bauer ein Drittel seines Bodens brach liegen. Auf einem Teil wurde Wintergetreide gesät, auf dem nächsten Sommergetreide. Dies war zur damaligen Zeit die beste Methode, den Ertrag zu steigern, da sich der Boden zwischendurch immer wieder erholen konnte.
Auch wenn die Burg Nünegg weniger Glück hatte und der Zerstörung durch die Eidgenossen nicht entgehen konnte, so ist sie doch heute in besten Händen. Leider konnte ich am „Tag der offenen Restaurierung“ am 18. Juni 2015 nicht teilnehmen. Nun freue ich mich umso mehr darauf, die wiedereröffnete Ruine der Burganlage im Herbst zu besichtigen.
Oberstes Bild: © Roland Zumbuehl, Wikimedia, CC