Die Charta von Burra – ihre Umsetzung in der Schweiz und Beispiele aus der Architektur

Die Charta von Burra wurde 1979 beschlossen und legt international gültige Richtlinien für die Denkmalpflege und den Umgang mit Denkmälern fest. Sie wurde inzwischen mehrfach modifiziert.

Jeder Architekt, der im Bereich Denkmalpflege tätig ist, muss sich ständig mit den verschiedenen Artikeln der Charta des ICOMOS (International Council on Monuments and Sites) auseinandersetzen.

In diesem Artikel möchte ich die Aufgaben der Architektur in der Schweizer Denkmalpflege anhand einiger Artikel der Charta von Burra erklären.

Die Charta ist für alle massgeblich, die bezüglich Orten von kultureller Bedeutung Mitspracherecht haben, Veränderungen vornehmen oder diese planen. Neben dem Architekten und den Mitarbeitern der kantonalen Denkmalpflege sind die Besitzer, Stiftungen, Verwalter und Vereine für das entsprechende Objekt verantwortlich. Mit Objekt ist dabei nicht nur ein Bauwerk gemeint, der Begrifft schliesst auch Landschaften, Ortschaften oder auch nur einzelne Teile eines Bauwerkes ein.

Das heisst: Bei der Umgestaltung oder Renovation jeglicher Orte von kultureller Bedeutung wird die Charta von Burra angewendet.

Aber was ist eigentlich mit kultureller Bedeutung genau gemeint? Der Begriff fasst jene Werte zusammen, die für frühere, heutige und zukünftige Generationen gleichermassen von Bedeutung sind. Dies können sowohl historische als auch gesellschaftliche, wirtschaftliche, ästhetische oder spirituelle Werte sein.

Dem Architekten kommt dabei eine verantwortungsvolle Rolle zu. Anders als bei einem Neubau muss vorhandene Bausubstanz erhalten werden bzw. ist zu berücksichtigen, dass diese bei einem Um- oder Ausbau integriert wird. Unverständlich, vor allem auch aus denkmalpflegerischer Sicht, sind Meinungen, wie sie der Schweizer Architekturhistoriker Siegfried Giedion (1888–1968) vertreten haben soll: Es heisst, er habe 1969 die Forderung „Jeder Generation ihr Haus“ formuliert. Natürlich ist ein Rückbau des gesamten Baubestandes der Vorfahren nicht realistisch, und nicht jede Generation kann ausschliesslich Neubauten erstellen.


Dem Architekten kommt beim Denkmalschutz eine verantwortungsvolle Rolle zu. (Bild: © Stock-Asso – shutterstock.com)

Und ausserdem: Was wäre unsere Welt ohne die historische Aussagekraft der Objekte, welche über viele Epochen erhalten geblieben sind? Jedes von ihnen wurde von Menschen geschaffen und ist eng mit deren Geschichte verbunden. Alte Bauwerke erzählen bis heute aus dem Leben früherer Generationen. Die Denkmalpflege hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerungen zu schützen. Schauen wir uns dazu einzelne Artikel der Charta von Burra sowie Beispiele Schweizer Kulturdenkmäler und der Zusammenarbeit von Denkmalpflege und Architekten an:

Im Artikel 1 werden unter anderem die Verfahren erklärt, die infrage kommen, um die kulturelle Bedeutung eines Objektes zu wahren:

  • 1.5 Unterhalt: Hiermit sind die ständige Pflege sowie Aufmerksamkeit gemeint, sowohl betreffend der Substanz wie auch der Umgebung des Objektes.
  • 1.6 Konservierung: Dieses Verfahren ist beispielsweise von vielen Burgruinen bekannt. Es dient der Erhaltung der Substanz des Bauwerkes bzw. seiner Überreste, um zu verhindern, dass der Verfall fortschreitet. Ein Beispiel dafür ist die Burg Pontaningen am Vorderrhein in Graubünden. Sie wurde vor wenigen Jahren konserviert, wobei das Vorprojekt vom Architekten und Burgenfachmann Dr. Lukas Högl ausgearbeitet wurde. Die Kantonale Denkmalpflege sowie der Archäologische Dienst begleiteten die Arbeiten.
  • 1.7 Restauration: Damit sind jene Arbeiten gemeint, die ohne Verwendung neuen Materials ein Objekt in seinen früheren, bekannten Zustand zurückversetzen. Wir haben bereits in vielen Beiträgen das Thema Restauration vor allem in Bezug auf Kirchen und Kapellen aufgegriffen.
  • 1.8 Rekonstruktion: Hierbei erhalten Objekte mit dem Einsatz neuer Materialien ihr ehemaliges Aussehen zurück, sofern dieses bekannt ist. Dies ist, noch bevor es die kantonale Denkmalpflege gab, hervorragend im Engadin gelungen. Lesen Sie dazu unseren Beitrag über die Burg Tarasp.

Artikel 7 legt Richtlinien für die Nutzung fest. 7.1 besagt, dass die Nutzung eines Objektes von kultureller Bedeutung beibehalten werden sollte. 7.2 legt fest, dass die Objekte in denkmalgerechter Weise genutzt werden müssen. Das ist mitunter ein heikles Thema, und nicht alle Ideen lassen sich realisieren. Nehmen wir zum Beispiel Industriebauten. Stehen diese leer, lassen sie sich vielfältig umnutzen. Im ehemaligen Zürcher Industriequartier hat sich in den letzten Jahren viel getan. Wir haben bereits darüber berichtet: Züri West – wo heute das Leben pulsiert.



Hier wurden Vorschläge für die künftige Nutzung mittels Architekturwettbewerb gesucht. So bekamen die EM2N-Architekten und die Schweingruber Zulauf-Landschaftsarchitekten den Zuschlag, den denkmalgeschützten Viaduktbögen neues Leben einzuhauchen, und sie haben dies, wie ich finde, grossartig gelöst. Wesentlich heikler ist die Aufgabe, für Kirchen, welche für ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr genutzt werden, eine neue Verwendung zu finden und sie entsprechend zu gestalten.

Bei meiner Recherche für diesen Artikel stiess ich auf eine Ausschreibung von 2012: Wollishofen lancierte einen Ideen-Wettbewerb für die Neunutzung der reformierten Kirche. Während es offenbar in Deutschland gar nicht so selten ist, dass Kirchenräume heute zweckentfremdet werden, betrat die Kirchgemeinde Wollishofen damit in der Schweiz Neuland. Wenn ich lese, dass bei unserem nördlichen Nachbarn sogar Diskotheken oder Restaurants in früheren Kirchenräumen möglich sind, dann hoffe ich, für Wollishofen wird ein Architekt eine passendere Lösung finden. Aktuell scheint die Kirche noch ihrer ursprünglichen Bestimmung als Gotteshaus zu dienen.

Interessant ist auch der Artikel 9: Er besagt, dass ein geschütztes Bauwerk an seinem ursprünglichen, historischen Ort verbleiben soll. Eine Versetzung ist nur als letzte Möglichkeit zu akzeptieren, wenn es ansonsten abgebrochen werden müsste. Erinnern Sie sich noch daran, dass im Mai 2012 am Bahnhof Oerlikon ein ganzes Haus verschoben wurde? 6200 Tonnen wurden dabei bewegt und retteten das denkmalgeschützte Verwaltungsgebäude der Maschinenfabrik Oerlikon vor dem Abbruch.


Das denkmalgeschützte Verwaltungsgebäude der Maschinenfabrik Oerlikon (Bild: © Martin SauterCC BY-SA 3.0)

Artikel 10 befasst sich mit dem Inventar. Ausstattungsgegenstände, welche zur kulturellen Bedeutung des Objektes gehören, dürfen nicht ohne Rücksprache mit der kantonalen Denkmalpflege entfernt werden. Wer sich in Eigenregie an die Renovation seines Eigenheimes macht und dabei denkmalgeschütztes Inventar entfernt, muss mit Folgekosten rechnen! Die Denkmalpflege kann verlangen, dass der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt wird. Deshalb ist es unbedingt ratsam, vor den Bauarbeiten oder der Renovation Rücksprache mit einem Architekten zu halten.

Objekte und Gegenstände, die aufgrund ihrer kulturellen Bedeutung bewahrt werden sollen, lassen sich meist in die neue Einrichtung integrieren. Dass dabei eine ganz besondere Wohnatmosphäre entstehen kann, zeigt das Beispiel eines alten Bauernhauses im Kanton Zürich, in das sich ein aus dem Tessin stammender Architekt verliebte. Spezialisiert auf den Umbau alter Häuser, konnte er alle Vorgaben der Denkmalpflege einhalten und für seine Familie ein wunderschönes Zuhause schaffen.

Nachtrag

Die Grundsätze der Schweizer Denkmalpflege werden auf der Basis von ICOMOS International erarbeitet. Die Charta von Burra wurde im August 1979 vom australischen ICOMOS-Komitee beschlossen und in den folgenden Jahren mehrfach aktualisiert. Für die Recherche dienten mir ausser dem Internet und Zeitschriften das Buch „Einführung in die Denkmalpflege“ von Leo Schmidt, erschienen im Theiss Verlag, sowie die Erfahrungen von Kollegen.

 

Oberstes Bild: © Pavel Ilyukhin – shutterstock.com

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