Umstritten: Ältestes Holzhaus Europas soll wiederaufgebaut werden

Das uralte Schwyzerhaus ist erwiesenermassen mindestens 100 Jahre älter als die Eidgenossenschaft selbst und galt bis zu seinem Abriss als ältestes Holzhaus Europas. Es stand im mittelalterlichen Flecken von Schwyz im Kanton Schwyz und wurde bereits 2001 unter scharfen Protesten des Schweizerischen Heimatschutzbundes und der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege (EKD) abgetragen und eingelagert.

Das als Nideröst bekannte, geschichtsträchtige Holzhaus sollte zu einem späteren Zeitpunkt an anderer Stelle wiederaufgebaut werden. Dieses Vorhaben scheiterte bislang an finanziellen Schwierigkeiten, denn der fachgerechte Wiederaufbau würde mehrere Millionen Schweizer Franken kosten, Schätzungen gehen von zwei Millionen aus. Geld, das die Verantwortlichen der Denkmalpflege nicht aufbringen können.

Nun soll das älteste Holzhaus Europas an einer historischen Stätte wiederaufgebaut werden. Der Bund übt jedoch scharfe Kritik an dem Projekt und ist vom Wiederaufbau gar nicht begeistert. Warum? Fühlen sich die Verantwortlichen zu sehr an ihre Fehler erinnert? Oder können und wollen sie einfach nicht zahlen?

Simple Baukastenspielerei als Beruhigung für die Denkmalschützer

Eine Verschiebung ins Freilichtmuseum Ballenberg scheiterte. Warum wurde das wertvolle alte Haus am Schwyzer Ortsrand überhaupt abgerissen? Ganz einfach: Es musste einem Einkaufszentrum weichen und war schlicht im Weg. Bis 1980 war das Haus bewohnt, 1998 datierte eine dendrochronologische Untersuchung den Erbauungszeitraum des Hauses auf 1176. Experten des Schweizer Heimatbundes bescheinigten der originalen Bausubstanz einen tadellosen, erhaltenswerten Zustand und verwiesen auf die besondere kulturhistorische Bedeutung als das tatsächlich älteste Holzhaus Europas. Die Experten des Bauherrn des geplanten Einkaufstempels hielten dagegen und bestritten den vermeintlichen Wert als internationales Kulturgut, zumal es „nur“ in Klasse A eingestuft war.

Daraufhin wurde die Genehmigung zum Abriss erteilt, mit der Auflage, die wertvolle historische Bausubstanz zum Zwecke der Bauforschung sowie des späteren Wiederaufbaus fachgerecht einzulagern. Für Denkmalschützer und Denkmalpfleger eine Blasphemie! Sie warfen dem Bund Raubbau am Schweizer Kulturgut vor, zumal die Verantwortlichen versäumten, die zukünftigen Kosten einzuplanen. Ein historisches Haus ist fest mit seinem Entstehungsort verwurzelt und kann nicht mal eben im Baukastensystem wie ein Lego-Spielzeug ab- und wiederaufgebaut werden. Was ist mit der Finanzierung des gesamten Projektes – muss nicht der Verursacher für die Kosten aufkommen? Diese Frage blieb bis heute unbeantwortet.

Der Tiergarten Goldau, auf dessen Gelände die alten Bauteile gelagert wurden, gab 2010 bekannt, dass er einen Wiederaufbau nicht finanzieren und auch die weitere fachgerechte Lagerung nicht garantieren könne. Verständlich – der Tierpark hatte das Niderösthaus ja auch nicht abgerissen und stattdessen Supermärkte errichtet. Erbauer und Betreiber des Einkaufszentrums sind fein raus – für die Kosten der Lagerung und des geplanten Wiederaufbaus kommen seit dem Abriss der Bund und verschiedene Stiftungen auf. Die Morgartenstiftung will nun das alte Haus im Rahmen des Projekts „Morgarten 2015 – 700 Jahre Abenteuer Geschichte“ neu errichten. Erwin Horat, Präsident der Stiftung, freut sich über die zukünftige „Kultstätte“, die Denkmalschützer schütteln den Kopf.

Haus ist Zeitzeuge der sagenumwobenen Schlacht am Morgarten

Ob diese Schlacht um das Kloster Einsiedeln und den Gotthardtpass im November 1315 tatsächlich stattgefunden hat, ist nicht belegt, denn es wurden keine Indizien für ein Gemetzel gefunden. Handfeste Streitereien, die auf dem Schwyzer Freiheitsdrang basierten, gab es hingegen einige. Ausserdem soll die Schlacht am Morgarten in der Gemeinde Oberägeri im heutigen Kanton Zug ausgetragen worden sein, also einige Kilometer entfernt von dem Ort, an dem das alte Schwyzerhaus 1176 erbaut wurde.

Es stand zum Zeitpunkt der Morgarten-Schlacht bereits knapp 140 Jahre und kann zu Recht als wichtiger Zeitzeuge bezeichnet werden. Die alten Balken hätten sicher einige wahre Geschichten zu erzählen. Doch seit dem Abriss ruhen sie in einer Lagerhalle des Tierparks von Goldau in der Gemeinde Arth im Kanton Schwyz.

Dass die über 800 Jahre alten Holzteile des ehemaligen Herrenhauses überhaupt noch in solch guter Verfassung sind, ist laut Archäologieprofessor Georges Descoeudres von der Universität Zürich der hervorragenden Zimmermannskunst der alten Schwyzer zu verdanken und der Verwendung sorgfältig bearbeiteten und qualitativ besten Kernholzes. Ohnehin wurde das älteste Holzhaus Europas nicht im Ganzen abgetragen und gesichert, sondern nur das „Grundhaus“ ohne spätere Anbauten. Zu Studienzwecken wurde das „Resthaus“ 2004 noch einmal aufgebaut, was der historischen Bausubstanz weiteren Schaden zugefügt hat. Zudem wurden wichtige Bauteile wie etwa Sockel und Anbauten einfach entsorgt.


Die Schlacht am Morgarten 1315 (Bild: Martin Disteli, Zentralbibliothek Solothurn, Wikimedia)


Vernichtendes Urteil der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege

Während Erwin Horat sich freut, das alte Haus retten zu können, und sich touristischen Zulauf am neuen Standort Schornen nördlich des Dorfes Sattel erhofft, werden aufgrund neuer Gutachten und des vernichtenden Urteils der EKD finanzielle Unterstützungen zurückgezogen. Denkmalpfleger Markus Bamert, der als wissenschaftlicher Berater den Wiederaufbau begleitet, kann das nicht verstehen, bestätigt aber, dass nur noch etwa die Hälfte der historischen Bausubstanz vorhanden ist.

Dennoch haben die Aufbauarbeiten an der Kantonsgrenze zwischen Schwyz und Zug begonnen. Projektleiter Edgar Gwerder erklärt in diesem Zusammenhang, dass die Rekonstruktion „einfach“ sei, denn bereits im Mittelalter seien die klassischen Tätschhäuser ab- und wiederaufgebaut worden. Ein Kinderspiel also – aber ein teures.



Die circa zwei Millionen Schweizer Franken für die Restauration und den zukünftigen Erhalt des Niderösthauses sollen nun durch Spenden aufgebracht werden. Nach Vorstellung der Morgartenstiftung soll die Schweizer Schuljugend nach altem Vorbild dafür aufkommen. Via Bildungsdirektionen der einzelnen Kantone sollen 50 Rappen pro Schulkind eingesammelt werden. Ein schweres Erbe, das der Bund seinen Kindern hinterlassen will. Zentral- und Ostschweiz haben bereits gezahlt, Beiträge der grossen Kantone sowie der Romandie stehen noch aus.

 

Oberstes Bild: Das uralte Schwyzerhaus ist älter als die Eidgenossenschaft selbst. (© Kantonales Amt für Kultur, Denkmalfplege in Schwyz)

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Mehr zu Claudia Göpel

Als gelernte Zahntechnikerin schreibe ich exzellent recherchierte Texte rund um die Themen Zahnmedizin, Allgemeinmedizin, Geriatrie und Gesundheit.
Sie profitieren mit mir als Auftragstexterin zudem von einem reichen Erfahrungsschatz in den Berufsbereichen Gastronomie, Kultur und Recht. Blog- und Fachartikel über Kinder, Tiere (Hunde, Katzen, Vögel, Fische, Reptilien, Kleinsäuger, Vogelspinnen), Pflanzen, Mode, Möbel und Denkmalschutz schreibe ich ebenfalls mit Begeisterung und reichlich Hintergrundwissen.
Zum Ausgleich verfasse ich in meiner Freizeit Kriminalstorys sowie erotische Kurzgeschichten, die unter dem Pseudonym Anastasia in zahlreichen Büchern und Erotik-Magazinen veröffentlicht sind. Ausserdem bin ich seit vielen Jahren ehrenamtlich als Klinikclown für kranke Kinder in deutschen Krankenhäusern und Hospizen aktiv.

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