Die vergessenen Denkmäler von St. Gallen im Schatten der OLMA
VON Claudia Göpel Allgemein Denkmalpflege
Auf der OLMA, der grössten Schweizer Publikumsmesse für Schweizer Landwirtschaft und Ernährung, präsentieren die Bauern ihre Produkte. Didier Burkhalter nimmt die Agrarmesse zum Anlass, wie viele der rund 380’000 Besucher, den Bauern für ihre wertvolle Arbeit zu danken. Er küsst Säulie, streichelt Lämmli und nimmt als süsses Andenken und Zeichen einer funktionierenden Wirtschaftspolitik ein Glas Honig von den Schweizer Imkern entgegen. Der anschliessende Festumzug führt durch die gesamte Innenstadt, mehr als einmal erschallt der Ruf „Rüüdig guet!“, das diesjährige Motto der OLMA. Für die Denkmäler und Sehenswürdigkeiten der Stadt haben die Touristen an diesen Tagen nur wenig Zeit übrig.
An der barocken Stiftskirche mit ihren charakteristischen zwei Türmen und der weltbekannten Stiftsbibliothek kommt dennoch niemand vorbei. Neben diesem Publikumsmagneten, der zusammen mit dem gesamten Stiftsbezirk zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, verfügt St. Gallen über zahlreiche weitere Denkmäler, die als Kulturgüter von nationalem und internationalem Rang gemäss der Haager Konvention unter Schutz stehen. An dieser Stelle müssen unbedingt der Broderbrunnen, die Kantonsbibliothek, die St.-Laurenzen-Kirche, das Volksbad, das Historische Museum und natürlich das gesamte historische Stadtzentrum genannt werden, die allesamt zur Kategorie A des Denkmalschutzinventars gehören.
Eine alte Villa setzt den Wert eines Quartiers herunter
Viele attraktive Wohn- und Geschäftsgebäude der Kategorie B sind aufwendig restauriert, hierzu gehören das Haggenschlösschen, das Haus zum Goldenen Apfel, das Haus zur Hexenburg sowie die Erker der Häuser zum Greif, zum Schwan oder zum Pelikan. Doch bei einigen villenartigen Baudenkmälern scheint der Wurm drin zu sein. Während die Villa Bürgli mit ihrem zauberhaften Türmchen bis vor Kurzem von Abkömmlingen der berühmten Familie Medici bewohnt oder die Müllersche Renaissance-Villa Tannhalde erst kürzlich mithilfe Schweizer Lottomittel restauriert wurde und auch die Villa Kreuzacker wieder in neuem Glanz erstrahlt, liegen andere Gebäude brach. Keiner traut sich an die Erfüllung der denkmalschutzrechtlichen Auflagen heran – am liebsten sollen die Häuser abgerissen werden und an dieser Stelle Neubauten entstehen, wie bei dem umstrittenen Projekt Villa Wiesental, von dem man seit über einem Jahr nichts mehr hört oder liest.
Bislang haben sich der Heimatschutz und der Verein Pro Villa Wiesental erfolgreich gegen den Abriss des denkmalrelevanten Hauses gewehrt. Die Eigentümergesellschaft Swisscanto scheint jedoch keinerlei Interesse an der Bewahrung der Villa zu haben und setzt kontinuierlich auf den natürlichen Verfall. Als Baugrund ohne das ungeliebte Villengebäude wäre das Quartier nämlich mehrere Millionen Schweizer Franken wert, mit der mittlerweile baufälligen Villa darauf ist das Gelände den Eigentümerin nur ein Klotz am Bein. Alle Bemühungen scheiterten, die Villa Wiesental neben dem geplanten Neubau „Stadtkrone“, dessen Entwurf als überladener, unpassender Eckzahn verspottet wird, zu erhalten. Es sieht ganz danach aus, als würde es die Villa Wiesenthal bald nicht mehr geben, denn wirtschaftliche Interessen stehen dem Erhalt der alten Bausubstanz entgegen.
Kann die Villa Wiesental noch geschützt werden?
Die Investoren haben wohl eine grössere Lobby als der Heimatschutz oder der Verein Pro Villa Wiesental, denn 2013 hat der Stadtrat das Gebäude endgültig aus dem Schutzverzeichnis entlassen. Seitdem weigern sich Planer und Investoren hartnäckig, an einer gemeinsamen Lösung für das Quartier Rosenstrasse 95 zu arbeiten. Einladungen zu Gesprächen werden ignoriert, auf Diskussionspodien bleiben die Befürworter eines Erhalts unter sich. „Ein zielführender Diskurs scheint unerwünscht und der Volkswille wird nicht ernst genommen“, klagt der Verein Pro Villa Wiesental. Wir möchten unsere Leser gern über die schöne Villa, die auf uns keineswegs baufällig wirkt, informieren und den Kampf um den Erhalt des Baudenkmals unterstützen. Hier einige Eckdaten des charmanten Gebäudes an der Rosenstrasse:
Der elegante Villenbau im Gründerzeitstil stellt laut Meinung der Denkmalpfleger das wichtigste Bauzeugnis des späten 19. Jahrhunderts für die Stadt St. Gallen dar. Die Villa wurde um 1880 von Baumeister Daniel Oertly (1824–1911) für den Konsul Konrad Menet-Tanner (1836–1916) erbaut, der nach seiner langjährigen Konsulartätigkeit in Uruguay als Geschäftsmann und Textilfabrikant zurück in seine Schweizer Heimat kam. Für die damalige Zeit stellte die Villa Wiesenthal einen Prunkbau dar. Die verwendeten hochwertigen Baumaterialien und -stoffe sind verantwortlich für den ungewöhnlich guten Zustand des Gebäudes. Der Gebäudesockel besteht aus Granit, die Fenstereinfassungen und Brüstungen aus grau-grünem Sandstein, die Fassade ist weiss verputzt.
Den nördlichen Eingang schmückt ein reich ornamentierter Balkon mit Balustradenbrüstung. Das steile Mansardendach ist mit zweifarbigem Schiefer gedeckt und besitzt eine grosszügige Dachterrasse. Bausubstanz sowie Türen, Fenster, Treppen und Innenräume befinden sich weitestgehend im gut erhaltenen Originalzustand. Aufwendige Parkettböden und fein ziselierte Stuckdecken zeugen vom Reichtum des ehemaligen Besitzers. Im Parterre befindet sich ein komplett mit Arventäfer ausgekleideter Raum mit erstklassiger Kassettendecke. Auch die auffälligen Holz- und Steintreppen mit eisernem Gussgeländer sind eine Augenweide. Die Villa Wiesental ist seit Jahren unbewohnt und soll alsbald einer modernen Überbauung weichen. Schade um dieses Kleinod der St. Galler Stadtgeschichte.
Oberstes Bild: Historisches und Völkerkundenmuseum St. Gallen (© Stgallensis, Wikimedia, CC)