Das Palais des Nations in Genf - europäischer Hauptsitz der UNO
VON Ulrich Beck Allgemein Denkmalpflege
Im Jahr 1926 schrieben die Verantwortlichen des Völkerbundes einen internationalen Architekturwettbewerb für ein neues Verwaltungszentrum aus. Allerdings konnte sich die Jury trotz der grossen Zahl von 377 Einreichungen am Ende nicht für einen Sieger entscheiden. Deshalb wählten deren Mitglieder aus dem Kreis aller Teilnehmer fünf Architekten aus, die gemeinsam einen neuen Entwurf ausarbeiten sollten. Diese waren Julien Flegenheimer (Schweiz), Camille Lefèvre (Frankreich), Henri-Paul Nénot (Frankreich), Carlo Broggi (Italien) und Joseph Vago (Ungarn). Sie hatten die zuvor am meisten favorisierten Entwürfe vorgelegt.
Auf der Grundlage ihrer Ideen wurde schliesslich das heutige Gebäude im Stil des späten Neoklassizismus errichtet. Bei der Grundsteinlegung am 7. September 1929 vergrub man eine Kapsel, die neben der Auflistung aller Mitgliedsstaaten eine Abschrift der Gründungsakte des Völkerbundes sowie Münzen aller Länder enthält. Der Einzug der verschiedenen Völkerbundsektionen, beginnend mit dem Sekretariat, erfolgte ab 1933 in mehreren Etappen bis hin zum Jahr 1936. Das Material und die Möbel für die Inneneinrichtung, die bis heute zum grössten Teil erhalten ist, stifteten ebenfalls die Völkerbundmitglieder.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Völkerbund aufgelöst war und die neu gegründete UNO das Palais übernommen hatte, erfuhr der Komplex mehrere Erweiterungen. Das Gebäude K wurde zwischen 1950 und 1952 um drei Etagen aufgestockt. Zur gleichen Zeit entstand Gebäude D als temporärer Sitz der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Errichtung von Gebäude E, das als Konferenzzentrum dient, dauerte von 1968 bis 1973.
Das gesamte Ensemble ist im derzeitigen Zustand rund 600 Meter lang und beherbergt 34 Konferenzräume sowie 2’800 Büros. Pro Jahr finden hier rund 9’000 Treffen mit bis zu 28’000 Delegierten statt, darunter etwa 600 grössere und grosse Konferenzen. Damit gehört das Palais des Nations zu den grössten Zentren für diplomatische Konferenzen überhaupt.
Einige Teile des Komplexes sind auch für geführte Besichtigungen zugänglich, die vom Publikum ausgiebig in Anspruch genommen werden. Immerhin nutzen jährlich rund 100’000 Besucher diese Gelegenheit. Das Palais des Nations soll voraussichtlich ab 2015 umfassend renoviert, wobei mit Kosten von mehreren Hundert Millionen Euro gerechnet wird. Eine stolze Summe, aber damit würdigt die UN die besondere Bedeutung des Palais für Genf und die Schweiz sowie für ihre Mitgliedsstaaten, ganz im Sinne der Denkmalpflege.
Der Ariana-Park an der Avenue de la Paix, auf dem sich das Gebäude befindet, gehört mit seinen 46 Hektar zu den grössten der Stadt und bietet einen herrlichen Ausblick auf die französischen Alpen und den Genfersee. In unmittelbarer Nachbarschaft steht übrigens auch das Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum, über das wir bereits an anderer Stelle berichtet haben.
Der Park befand sich ursprünglich im Privatbesitz der Familie Revilliod de Rive. Sein letzter Eigentümer, Gustave Revilliod, vererbte das Gelände 1890 an die Stadt Genf, stellte dabei allerdings drei Bedingungen: Erstens wollte er dort beerdigt werden, zweitens sollte der Park frei zugänglich für die Öffentlichkeit sein und drittens verlangte er, dass Pfaue zu jeder Zeit freien Auslauf hätten.
Aus Sicherheitsgründen ist der freie Zugang mittlerweile untersagt, die anderen beiden Bedingungen aber wurden bzw. werden bis heute eingehalten. Das Grab von Gustave Revilliod hat ebenso seinen Platz im Park wie die bunt schillernden Vögel. Die Stadt Genf hat im Übrigen zugesichert, dass die UNO den Park nutzen kann, so lange sie existiert.
Ausser dem Palais des Nations stehen im Ariana-Park noch mehrere historisch bedeutende Villen, die früher privat, heute aber ebenfalls von der UNO genutzt werden. Es handelt sich dabei um die Villa la Fenêtre, die Villa la Pelouse sowie die Villa le Bocage. In der Villa la Fenêtre residiert der Generaldirektor der Genfer UN-Sektion, in den anderen beiden Villen sind Büros untergebracht.
Zudem zieren zahlreiche Monumente, gespendet von Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, privaten Sponsoren und Künstlern, die Anlage. Dazu gehören z.B. ein Himmelsglobus („The Celestial Sphere“, USA), die „Eroberung des Weltraums“ (ehemalige Sowjetunion), „Der grosse Zentaur“ (Russische Föderation), die Skulptur „Familie“ (Anthony und Penny Oppenheimer) und das „Montbovon Chalet“ aus der Schweiz, gestiftet von der Revilliod Fondation.
Oberstes Bild: Das Palais des Nations in Genf (© Romano1246, Wikimedia, CC)