Auf Goethes Spuren in der Urner Gotthardregion

Der Gotthardpass gilt seit dem Mittelalter als eine der bedeutendsten Nord-Süd-Verbindungen über die Alpen. Auch den Römern war er bereits bekannt, die jedoch ihre Strassen bevorzugt über Reschenpass, Brenner und Septimer anlegten.

Benutzten die Römer doch einmal die Verbindung über den Gotthard, stellte die Schöllenenschlucht ein fast unüberwindbares Hindernis dar. Dank Funden römischer Münzen konnten Archäologen ableiten, dass zu jener Zeit die Schöllenen auf Saumpfaden umständlich umgangen wurde. Um Warentransport und Personenverkehr zu ermöglichen, baute man 1220 die Twärrenbrücke, gefolgt von der Teufelsbrücke, über die Reuss.

Wer gerne historische Romane liest, dem möchte ich das Buch „Der Schmied von Göschenen“ von Robert Schedler empfehlen, der sich dieses Themas annimmt. Auch in den Reisetagebüchern des grössten deutschen Dichters aller Zeiten, Johann Wolfgang von Goethe, taucht der Gotthard immer wieder auf.

Neulich fiel mir ein Schulaufsatz wieder in die Hände, den ich als Kind schreiben musste. Das Thema des Aufsatzes war eine Klassenreise nach Weimar, wo Goethe und Schiller lebten und wirkten. Goethes Reisen durch die Schweiz und über den Gotthard sind so bedeutend, dass sie selbst in Ostdeutschland zum Schulstoff gehörten, und so schrieb ich, ca. zwölfjährig:

„… besuchten wir auch die Häuser von Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Mir hat sehr gut gefallen, dass das nicht einfach normale Museen sind, wo die Sachen von den Dichtern ausgestellt werden. Es fühlte sich so an, als wenn wir in den Wohnungen zu Besuch gewesen sind. Es lag ein angefangener Brief auf dem Schreibtisch und auf dem Sofa das Kissen war eingedrückt, als wenn da gerade noch jemand drauf gelegen hätte. Friedrich Schiller blieb gerne zu Hause. Johann Wolfgang von Goethe war oft verreist und war vor allem gerne in Italien. Da war er immer lange unterwegs, weil er ja nicht einfach mit dem Zug fahren oder hinfliegen konnte. Er musste in der Schweiz über die Alpen laufen. Das stelle ich mir sehr anstrengend vor. Er schwärmt jedoch davon …“


Goethes Arbeitszimmer, Goethe-Haus, Weimar (Bild: Tanzania, Wikimedia, CC)

Das waren die Informationen, die wir damals vor Ort bei einer Führung vermittelt bekamen. Dass ich Jahre später selbst begeistert von der Gotthardregion sein und bei meinen Wanderungen immer wieder auf Goethes Namen stossen würde, konnte ich zu dieser Zeit nicht ahnen. Ich war auch kein grosser Fan von ihm; welcher Teenager ist schon begeistert, wenn er „Faust“ lesen oder gar den „Zauberlehrling“ auswendig lernen muss. Schillers Gedichte mochte ich dagegen viel mehr. Aber wie war das noch mal: Schiller war gar nicht auf Reisen, so wie sein Freund und „Seelenpartner“ Goethe?

Es ist erstaunlich: Schiller, der die Schweiz nie bereiste, verdanken wir das berühmteste literarische Werk über die Tell-Geschichte. In dem klassischen Drama sind die Schauplätze so realistisch beschrieben, dass wir, ohne Schillers Leistung schmälern zu wollen, auch Goethes Beitrag dazu nicht vergessen sollten. Auch ist Tell nicht, wie oft angenommen wird, eine Erfindung der deutschen Dichter. Der Ursprung Wilhelm Tells soll in Dänemark liegen. Bereits im Jahr 1200 wurde dort von einem Mönch die Geschichte eines Schützen aufgezeichnet, die in groben Zügen der des Wilhelm Tell ähnelt. Wer sie im Mittelalter in den Süden brachte, ist unklar.

Die Region um den Vierwaldstättersee bot sich jedoch an, mit ihren steilen Felsen, dem bei Föhnsturm aufgepeitschten Wasser und der umliegenden imposanten Bergwelt, als Kulisse für ein Drama um einen Volkshelden zu dienen. Die Idee für dieses grossartige Werk stammt von Goethe, der sich jedoch selbst nicht durchringen konnte, es anzupacken. Auch Schiller war zuerst unschlüssig, bevor er das Projekt Anfang des 19. Jahrhunderts endgültig in Angriff nahm. Dabei musste und konnte er auf die Erfahrungen von Goethes Schweizer Reisen zurückgreifen. So fand auch die Erstaufführung im März 1804 am Weimarer Hoftheater unter künstlerischer Leitung Johann Wolfgang von Goethes statt.



Goethes Reisen durch die Schweiz

Fast jeder kennt das: Er entdeckt früher oder später einen Ort, eine Region, ein Land, wo er sich besonders wohlfühlt oder gar seine „zweite Heimat“ findet. Johann Wolfgang von Goethe trug zeitlebens eine Sehnsucht nach Italien im Herzen. Das italienische Flair findet sich bereits in der Gotthardregion. Der aus Frankfurt am Main stammende Rechtsanwalt und Dichter war es aus seiner Wahlheimat Thüringen gewohnt, ausgiebige Wanderungen zu unternehmen. Die Schweizer Pässe und uralten Pfade im Gebirge dürften aber auch für ihn eine Herausforderung gewesen sein.

Gerade mal 25-jährig brach er zu seiner ersten Italienreise auf. Er ging am 19. Juni 1775 in Luzern an Bord eines Dampfschiffes und reiste damit auf dem Vierwaldstättersee Richtung Urnerland. Hier kam er erstmals mit der Gegend in Berührung, in der später die Tell-Geschichte spielen sollte. Von da an wanderte er weiter zum Gotthard. Er hat diesen dreimal bestiegen, jedoch kehrte er immer wieder um und ging nie zu Fuss weiter bis ins Tessin.

Das zweite Mal erwanderte er den Gotthard 1779 vom Furkapass aus, und 1797 zog ihn die Sehnsucht nach dieser unbeschreiblich schönen Region zum dritten Mal hierher. Wobei, unbeschreiblich ist wahrscheinlich nicht ganz richtig: Goethe fand selbstverständlich, im Gegensatz zu mir, die richtigen Worte. Von ihm stammen Aussagen wie: „… spüre ein wundersames Verlangen, die Erfahrungen zu wiederholen und rektifizieren“, oder:Mir ist’s unter allen Gegenden, die ich kenne, die liebste und interessanteste.“ Und Friedrich Schiller liess Wilhelm Tell, aufgrund Goethes Begeisterung, sagen:

So immer steigend, kommt Ihr auf die Höhen
Des Gotthards, wo die ewg’en Seen sind
Die von des Himmels Strömen selbst sich füllen
Dort nehmt Ihr Abschied von der deutschen Erde,
Und muntern Laufs führt Euch ein andrer Strom
Ins Land Italien hinab, in das gelobte.“

Wer zu Fuss unterwegs ist, erlebt die Umgebung, die Natur und die durchwanderten Dörfer viel intensiver als bei einer Reise mit dem Auto oder, wie zur damaligen Zeit, der Kutsche. Natürlich musste Goethe entsprechend mehr Zeit für die Reise nach Italien einplanen und unterwegs mehrfach in der Schweiz einkehren sowie übernachten. Im Folgenden liste ich einige Baudenkmäler auf, die von Goethe beschrieben oder besucht wurden. Ich beschränke mich dabei auf Ortschaften oder Gasthäuser im Kanton Uri, da ich diese selbst schon besuchen konnte. Dabei möchte ich den Kantonen Tessin, Wallis und Graubünden jedoch ihren Anteil an der Gotthardregion keineswegs unterschlagen!


Gotthard- Hospiz: Goethe übernachtete dort mit Freunden am 21./22.Juni 1775. (Bild: Franz Hegi, Wikimedia, public domain)

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Die Jagdmattkapelle in Erstfeld ist offensichtlich das einzige Urner Gotteshaus, das Goethe beschrieb. Er besuchte sie 1797 und zeigte sich erfreut, dass sie offenstand und zur Einkehr einlud. Die Jagdmattkapelle stammt aus dem 14. Jahrhundert, sie wurde 1339 erstmals erwähnt. Der Ablassbrief blieb im Original erhalten. Verfasst in lateinischer Sprache und auf Pergament niedergeschrieben, wird er sicher im Pfarrarchiv Erstfeld aufbewahrt.

Die jetzige Kapelle ist in den Jahren 1637 und 1638 erbaut und Anfang August 1642 geweiht worden. Man sieht dem Bau an, dass er südliche Vorbilder hatte: Der damalige Erstfelder Pfarrer sowie Mitglieder der Baukommission waren Tessiner. In der Vorhalle zieht ein Bild aus dem 17. Jahrhundert die Blicke auf sich, welches eine Geschichte abbildet, in der ein Jäger und ein Hirsch die Hauptrolle spielen. Was hat es damit auf sich?


Jagdmattkapelle in Erstfeld auf der rechten Seite der Reuss, Kanton Uri. (Bild: Manfred Heyde, Wikimedia, GNU)

Es gibt dazu eine interessante Legende: Einst folgte ein Jäger in jener Region einem Hirsch, der sich verängstigt an den Ort flüchtete, wo heute die Jagdmattkapelle steht. Als der Jäger sich ihm näherte, fiel ihm ein Tuch im Geweih des Tieres auf. Darauf war das Antlitz Christi abgebildet. Der Jäger liess aus Ehrfurcht den Hirsch am Leben. Nach dieser Begegnung schloss er sich dem Christentum an und liess sich im Ort nieder. An die Jagdmattlegende erinnert heute noch ein Steinrelief aus der ursprünglichen Kapelle. Es ist in den Chorbogen eingemauert und stellt den Hirsch mit dem Schweisstuch Christi dar.

Der Hirsch wurde aufgrund dieser Überlieferung zum Wappentier der Gemeinde Erstfeld. Die kantonale Denkmalpflege nahm die Jagdmattkapelle in die Liste der Kulturdenkmäler von nationaler Bedeutung auf.

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Auf seiner letzten Reise stieg Goethe in Altdorf im Gasthaus „Zum schwarzen Löwen“ Dieses über 500-jährige Haus liegt mitten im Zentrum des Dorfes. Sein Restaurant wurde nach denkmalpflegerischen Vorlagen renoviert und die Renovation des Hotels wird in Kürze in Angriff genommen. In dem traditionsreichen Haus können neben Goethes Zimmer, welches natürlich nach ihm benannt wurde, 15 weitere traditionelle Gästezimmer gebucht werden.


Hotel zum Schwarzen Löwen, Altdorf (Bild: Paebi, Wikimedia, CC)

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Im Hotel „Stern und Post“ in Amsteg war Johann Wolfgang von Goethe ebenfalls ein gern gesehener Gast. Diesem Haus widmeten wir bereits einen Artikel, weshalb ich hier nicht nochmals detaillierter darauf eingehen möchte.


Ansicht Nordfassade des Hotels Stern und Post in Amsteg (Bild: Sputniktilt, Wikimedia, GNU)

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Auch in Wassen ist man stolz, dass Goethe hier rastete. In einem der ältesten Urner Gasthäuser, dem Hotel „Alte Post“, lobte er die Gastfreundschaft und Gemütlichkeit. Das unter Denkmalschutz stehende Haus wurde im 16. Jahrhundert erbaut. Damals diente es als Zollgebäude und Susthaus für den Säumerverkehr in der Gotthardregion: Ab dem 17. Jahrhundert wurden Zölle für den Warentransport sowohl über den Gotthard- als auch den Sustenpass eingezogen. Sämtliche Waren, die über den Gotthard transportiert wurden, mussten hier gewogen werden.


Gotthardpost bei Wassen, 1845, Aquatinta von Weber nach Zeichnung von Straub (Quelle: Sankt Gotthard, Artur Wyss-Niederer, Lausanne, Wikimedia, public domain )

Die Geschichte hat in Wassen viele sehenswerte Spuren hinterlassen. Der wunderschöne Dorfplatz wird von gepflegten Stein- und Holzhäusern sowie dem prächtigen Dorfbrunnen umrahmt. Hier wird sich auch Goethe gern ausgeruht haben, bevor er seine Wanderung fortsetzte. Auch die fünfspännige Gotthard-Postkutsche machte in Wassen regelmässig halt, um die erschöpften Pferde auszuwechseln. Das kleine Kirchlein in Wassen liegt auf einer Anhöhe und wurde 1882 mit der Eröffnung der Gotthardbahn zu einem Wahrzeichen der Region: Wer nämlich im Zug durch den Gotthard reist, sieht die kleine barocke Kirche gleich dreimal. Durch die Kehren des Tunnels erscheint sie jedes Mal von einer anderen Seite.

Dies blieb Goethe zwar verwehrt, der natürlich nichts davon wissen konnte, dass hier einst eine Bahnverbindung entstehen würde. Wahrscheinlich hat er aber das Innere des Gotteshauses bewundern können. Die meisten Reisenden in der heutigen Zeit verpassen dies leider. Die kleine Pfarrkirche wurde 1734 fertiggestellt und ist dem Heiligen Gallus geweiht. Die unter Denkmalschutz stehende Kirche zählt ebenfalls zu den Kulturgütern von nationaler Bedeutung. In den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde sie aufwendig restauriert.



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Andermatt ist der Ort, an dem sich Goethe besonders wohlfühlte. Im Hotel „Drei Könige und Post“ ist man bis heute stolz, dass der Dichter gern hier einkehrte. Auch heute kann man hier noch in Ruhe entspannen. Die Zeit scheint still zu stehen, wenn man im Goethesäli, in der urchigen Bauernstube oder auf der gemütlichen Sonnenterrasse Platz nimmt. Früher hielten vor dem Haus regelmässig die Postkutschen. Über Andermatt und die legendäre Postkutsche schrieb ich bereits einen Artikel für unseren Blog.


Gotthard-Postkutsche bei Andermatt (Bild: mmuenzl – shutterstock.com)

Für den Weg in den Süden stieg Johann Wolfgang von Goethe jeweils in die Gotthard-Postkutsche. Das bekannte Zitat, welches er Faust während des Osterspaziergangs mit Famulus Wagner sagen liess: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“, könnte durchaus in der Gotthardregion seinen Ursprung haben. Denn selbst die teilweise anstrengenden Wanderungen bereiteten ihm in dieser Landschaft unbeschwertes Vergnügen. So stammt auch eines meiner Lieblingszitate aus Goethes Reisetagebüchern, die er während seiner Schweizer Reisen schrieb:

„Es ist ein Fehler bei Fussreisen, dass man nicht oft genug rückwärts sieht, wodurch man die schönsten Aussichten verliert.“

Nachtrag: Wer heute mit der Gotthardbahn in den Süden reist, kann bequem die vor dem Fenster vorbeiziehenden Dörfli und imposanten Berge geniessen. Heimatschutz, Denkmalpflege, Stiftungen und Privatpersonen setzen sich dafür ein, dass die historischen Zeitzeugen erhalten bleiben. Da Sie unseren Blog lesen, sich also für diese Thematik interessieren, möchte ich Ihnen sehr empfehlen, sich einmal die Zeit zu nehmen, um zu Fuss die Spuren der Geschichte in der Gotthardregion zu erfahren. Diese umfassen Verkehrstechnisches ebenso wie Kulturelles, Traditionelles, Wirtschaftliches, und es ist beeindruckend, wie die gesamte Entwicklung der Schweiz auch mit der Geschichte dieser Region zusammenhängt.

 

Oberstes Bild: Auf Goethes Spuren in Luzern (© Hansueli Krapf, Wikimedia, CC)

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