Züri West - ein ehemaliges Industriequartier, in dem heute das Leben pulsiert

In den meisten Artikeln auf unserem Blog geht es um mittelalterliche Orte oder Bauwerke, die natürlich aufgrund ihrer spannenden Geschichte besonders interessant sind. Jedoch ist das Aufgabengebiet der Denkmalpflege viel breitgefächerter, und die zu schützenden Objekte sind nicht immer Hunderte von Jahren alt. Richtig viel zu tun gab es im Bereich Denkmalschutz in den letzten Jahren im ehemaligen Zürcher Industriequartier. Heute ist es kein solches mehr, sondern ein lebendiges Trendquartier mit vielen neu erstellten Wohnräumen, Hotels, Büros, einem vielfältigen Kulturleben und originellen Läden und Restaurants.

Dass dort, wo einst vor allem in Fabriken gearbeitet wurde, eines der beliebtesten Stadtquartiere entstehen konnte, war kein leichtes Unterfangen. Ein paar Beispiele der Projekte, bei denen die Denkmalpflege Mitspracherecht hatte, stelle ich in diesem Beitrag vor. Dabei beschränke ich mich auf jene Objekte, die der breiten Bevölkerung zugänglich sind und die es lohnt, bei einem Besuch in Zürich zu besichtigen.

Im Puls 5, einer ehemaligen Giesserei, sind heute diverse Läden und Restaurants sowie ein Fitnessstudio untergebracht. Es hat viel Platz und auf der grossen Fläche in der Mitte der Halle finden Ausstellungen und andere Veranstaltungen statt. Während der Umbauarbeiten kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Immobilienfirma und der Städtischen Denkmalpflege. Sogar Polizeibeamte der Regionalwache waren damals, im April 2003, im Einsatz. Ihr Auftrag war es, den Abbruch eines alten Hochofens in der einstigen Giesserei zu verhindern. Jedoch kamen sie zu spät: Der Ofen war mitsamt seiner beiden Kamine bereits zerstört worden. Zu jener Zeit waren noch Verhandlungen im Gange, bei denen es darum ging, ihn unter Denkmalschutz zu stellen.


Giessereihalle, Puls 5, Zürich (Bild: Knut.nagel123, Wikimedia, CC)


Es gab verschiedene Konzepte, den Hochofen zu nutzen, und sogar die Errichtung eines Museums wurde vorgeschlagen. Es ist vielleicht für Aussenstehende schwer nachvollziehbar, weshalb ein alter, längst ausgedienter Ofen geschützt werden sollte, jedoch gehörte er zu einer der letzten Anlagen, die Zeuge der bedeutenden industriellen Vergangenheit von Zürich West waren. Gerade beim Umbau oder Abbruch von Gebäuden jüngeren Datums gibt es immer wieder Differenzen zwischen Bauherren und Denkmalpflegern. Schade, wenn es, wie in diesem Fall, nicht rechtzeitig gelingt, einen solchen Zeitzeugen zu bewahren.

Vom Puls 5 kann man zu Fuss in ca. 15 Minuten zum Viadukt spazieren. Unterwegs sind mehrere ebenfalls unter Schutz stehende Objekte zu sehen. Unter anderem das Tramdepot Hard, dessen alter Teil aus dem Jahre 1911 inzwischen geschützt ist. 2014 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, um einen Neubau für Wohnungen zu realisieren, der den alten Teil integrieren soll.


Tramdepot Hard in Zürich (Bild: Roland zh, Wikimedia, CC)


Ein kleiner Umweg führt zum Hardturm, womit wir nun doch einen kurzen Abstecher ins Mittelalter machen, denn dieser wurde ca. Mitte des 13. Jahrhunderts errichtet. Er ist übrigens in Zürich das einzige hochmittelalterliche, erhalten gebliebene, weltliche Bauwerk. Als Bestandteil der Letzimauer gehörte er zur damaligen Stadtbefestigung. Erste urkundliche Erwähnung fand er 1336 und bis 1461 war er im Besitz des Rittergeschlechtes Manesse. Seit rund 500 Jahren befindet sich der Turm in Privatbesitz. Im 17. Jahrhundert erhielt er seine jetzige Form. Er wurde als Wohnturm umgebaut und 1999 umfassend saniert. Der Hardturm steht seit 1964 unter Denkmalschutz.

Die Viaduktbögen gehören fest zum Stadtbild von Aussersihl und Wipkingen. Als die Eisenbahnbrücken am 18. August 1894 eröffnet wurden, wäre wahrscheinlich niemand auf die Idee gekommen, dass hier einmal ein kunterbunter Treffpunkt der Quartierbevölkerung entstehen könnte. Noch heute wird das Wipkinger Viadukt als viel befahrene Verbindung zwischen Zürich Hauptbahnhof und Zürich Oerlikon genutzt. Wer mehr über die Geschichte der Viadukte erfahren möchte, kann interessante Fakten auf Wikipedia nachlesen. Ich möchte mich hier auf die Neunutzung beschränken.


Der zwischen 1250 und 1300 gebaute Hardturm an der Limmat in der Stadt Zürich. (Bild: Ikiwaner, Wikimedia, CC)


Nach über 100 Jahren waren die unter den Viaduktbögen liegenden Lagerhallen dermassen sanierungsbedürftig, dass sie geräumt werden mussten. Bei einem Architekturwettbewerb suchten im Frühsommer 2004 SBB und Stadt Zürich Vorschläge für die künftige Nutzung. Den Zuschlag bekam eine Arbeitsgemeinschaft: Die EM2N Architekten und die Schweingruber Zulauf Landschaftsarchitekten. In den folgenden Jahren wurde das denkmalgeschützte Bauwerk saniert und bekam einen neuen Nutzungszweck. Rund fünf Jahre dauerten Planung und Bauarbeiten, bis schliesslich 2010 Leben in die neuen Räumlichkeiten kam.

Die Umnutzung der Viaduktbögen ist absolut lobenswert und eine echte Bereicherung für Züri West und die ganze Stadt. Hier trifft man sich auf ein Glas Wein oder zu einem gemütlichen Essen, zum Einkaufen und Flanieren. Da ich sehr gerne und vor allem gesund koche, bin ich begeistert von der ins Viadukt integrierten Markthalle: Hier bekommt man das ganze Jahr über tagtäglich frische regionale Produkte sowie internationale Spezialitäten. Dass die Errichtung der Markthalle ermöglicht werden konnte, ist der Stiftung zur Erhaltung von preisgünstigem Wohn- und Geschäftsraum der Stadt Zürich zu verdanken.


Markthalle des Aussersihlerviadukt (Bild: Micha L. Rieser, Wikimedia, GNU)


Die gelungene Umnutzung des denkmalgeschützten Viaduktbauwerks wurde mehrfach ausgezeichnet: Der Lettenviaduktweg, heute ein beliebter Rad- und Fussweg, wurde 2011 in der Kategorie „Landschaft“ mit dem Goldenen Hasen ausgezeichnet. Im gleichen Jahr bekam das gesamte Projekt eine Anerkennung wegen seiner zukunftsfähigen Gestaltung des Lebensraumes. Es wurde damit der wertvolle und zukunftsorientierte Beitrag, der zur weiteren Stadtentwicklung geleistet wurde, gewürdigt. Weiterhin erhielt das Viadukt einen Publikumspreis, welcher erstmals vergeben wurde sowie eine Auszeichnung für gute Bauten der Stadt Zürich. Fand ich früher dieses Quartier äusserst unattraktiv, führt mich jeder Besuch in der Stadt automatisch auch zum Viadukt. Und mit meiner Begeisterung bin ich nicht alleine! Nicht nur die Markthalle, auch die vielen originellen kleinen Läden ziehen eine bunt gemischte Kundschaft an.

Gar nicht weit entfernt befindet sich ein weiteres geschütztes Projekt, welches die Bevölkerung mit Freude nutzt: das Flussbad Oberer Letten. Es wurde 1951/1952 durch zwei Vertreter der Schweizer Architekturavantgarde verwirklich, und 1957 bekam es ebenfalls die Auszeichnung für gute Bauten der Stadt Zürich. 2011/2012 wurde die beliebte Flussbadi unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten saniert und optimiert und Alt und Neu harmonisch verbunden. Die Badeanlage erhielt einen Anstrich in der ursprünglichen Farbe, aber eine moderne Infrastruktur, wie beispielsweise barrierefreien Zugang.

Am Beispiel von Zürich-West sehen Sie, dass die Arbeit der Denkmalpflege wichtig und nicht immer einfach ist und sie gerade in der Stadt oft vor echten Herausforderungen steht. In allen Stadtkreisen gibt es Beispiele für die Arbeit der Denkmalpfleger. Ich habe mich für diesen Artikel für Züri West entschieden, weil sich kein anderes Quartier in den letzten Jahren dermassen verändert hat. Vor allem geht es bei allen diesen Massnahmen nicht um Privatpersonen oder eine kleine Gruppe von Menschen, sondern um die gesamte Bevölkerung, die von den Bau- und Sanierungsmassnahmen profitieren kann.

 

Oberstes Bild: Puls 5 in Zürich (© Knut.nagel123, Wikimedia, CC)

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