Historische Reisepost – mit der Gotthard-Postkutsche von Andermatt nach Airolo
VON belmedia Redaktion Allgemein Denkmalpflege
Im Sommer 2007 war ich eingeladen, das Freilicht-Theaterstück „D’Gotthardbahn“ in Göschenen anzusehen. Dieses Theaterstück brachte den Besuchern die Geschichte des Gotthardtunnels auf faszinierende Weise nahe, von der Vision bis hin zur Fertigstellung. Laien- und Berufsschauspieler zeigten eindrücklich, unter welchen Umständen der Tunnel entstand. Das Wetter war schlecht, und während wir Zuschauer eingemummelt in warme Decken auf den Rängen sassen, gaben die Darsteller alles.
Nieselregen und Kälte boten neben der natürlichen Bergkulisse den idealen Rahmen für die Geschichten rund um die Ausbeutung und harte Arbeit der Mineure, welche vorwiegend aus den armen Regionen Italiens stammten. Es war ein grossartiges, historisches Theaterstück, welches das Publikum total fesselte und in die Zeit von 1872 bis 1880 entführte.
Auch die legendäre Gotthard-Postkutsche hatte ihren Auftritt. Und was für einen! Noch bevor sie zu sehen war, ertönten aus dem Hintergrund die Schellen. Das Publikum erhob sich und feierte die legendäre Postkutsche mit von Herzen kommendem Applaus.
Als Nichtschweizerin befasste ich mich daraufhin intensiv mit der Geschichte der Gotthard-Postkutsche und bin noch im gleichen Jahr die alte Strecke von Andermatt über den Gotthardpass und die Tremola nach Airolo gewandert. Es gibt nicht nur eine grandiose Bergwelt zu entdecken, sondern auch Kulturhistorisches, wovon ich hier einiges vorstellen möchte:
Noch heute können Sie mit der Gotthard-Pferdepost die Reise von Andermatt im Kanton Uri nach Airolo im Tessin antreten. Was früher eine eher beschwerliche Reise war, ist heute ein romantischer Ausflug in längst vergessene Tage. Der Postwagen ist eine originalgetreue Nachbildung der legendären Postkutsche. Bevor Sie in die Kutsche einsteigen, bummeln Sie doch erst durch das wunderschöne Dorf Andermatt, mit seinem Dorfkern von nationaler Bedeutung!
Auffallend sind die immer noch bestens erhaltenen, aus Granitplatten in die gepflasterte Strasse eingelegten, Fahrspuren, ein Zeugnis aus der alten Postkutschenzeit. Vor allem die Häuser in der Dorfstrasse sind wunderschön. An einigen lassen sich Elemente der typischen Architektur des Rokoko erkennen. Auffallend sind auch Verbindungen von gemauerten Unterbau mit Holzkonstruktionen. Gemeinsam mit Treppen, Gassen und Lauben bilden sie das geschützte Ortsbild.
Andermatt wurde bereits 1203 urkundlich erwähnt. Zwischen 1818 und 1830 wurde die Gotthardstrecke fahrbar gemacht. Also lange nachdem der bekannte Dichter Johann Wolfgang von Goethe das Urserental entdeckte und dreimal den Gotthard bestieg. Er liebte die Region und sagte hier: „“Mir ist’s unter allen Gegenden, die ich kenne, die liebste und interessanteste“. Goethe liebte offensichtlich die Gotthardhöhe so sehr, dass er nie weiter Richtung Italien wanderte. Heute noch wird der Gotthard „Herz der Schweiz“ genannt. Auf 2108 m steht neben dem kleinen See die alte Sust. Hier befindet sich das Gotthardmuseum, welches von Pilgern, Säumern, Händlern und Soldaten berichtet.
Die Stiftung Pro St. Gotthard, von welcher der Heimatschutz ein Gründungsmitglied ist, rief vor Jahrzehnten auf, landesweit für den Erhalt des Hospizes und der umliegenden Landschaft zu spenden, um diese Spekulationen zu entziehen. Der Gotthardpass und das Hospiz sollen, Zitat: “als Zeugnis unserer nationalen Geschichte und der Schweizer Freiheit und Unabhängigkeit geschützt werden“. Glücklicherweise kamen genügend Mittel zusammen, um alle Gebäude zu übernehmen und diese zu renovieren. Besonderes Augenmerk galt dabei dem Hospiz.
In einer Festungsanlage auf dem Gotthard entstand eine Erlebniswelt unter dem Namen „Sasso San Gottardo“, welche über die wichtigsten Themen der Region informiert.
Über die historische Passstrasse Tremola geht es in engen Serpentinen steil hinunter Richtung Airolo. Die Tremola steht unter Denkmalschutz. Ausser der Gotthard-Postkutsche trifft man hier vor allem Motorradfahrer, Biker und Wanderer an. Ursprünglich war sie als Saumweg angelegt worden. Später überquerte man den Gotthard auch mit Lasttieren, für welche Stufen geschaffen wurden. Je nach Möglichkeit, waren Reisende zu Fuss oder mit dem Pferd unterwegs, manche gar in einer Sänfte. 1830 nahm die Postkutsche den Betrieb auf und ab 1842 fuhr das Fünfer-Gespann einmal täglich in beide Richtungen. Im Winter kamen Schlitten zum Einsatz.
Wahrscheinlich kennen Sie das berühmte Bild des Zürcher Malers Rudolf Koller, welches die Historische Reisepost zeigt, vor deren galoppierenden Pferden sich ein Kalb in Sicherheit bringt. Das Original können Sie übrigens im Zürcher Kunsthaus bewundern, eine Kopie hängt im Gotthard-Museum. Die Reise der Postkutsche endet in Airolo. Seit dem Jahre 1000 ist die Geschichte Airolos eng mit der des St.-Gotthard-Passes verbunden.
Beim Bahnhof steht ein Denkmal: Das Denkmal für die Opfer, welche der Bau des Gotthardtunnels forderte. Geschaffen wurde es im 19. Jahrhundert von Vincenzo Vela. Damit schliesst sich der Kreis, der Ausflug in die Geschichte und Gegenwart des Gotthards, der Gotthard-Postkutsche und des Gotthard Tunnels. Ich glaube nicht, dass ich jemals in den Genuss kommen werde, die Reise über den Gotthard mit der Postkutsche antreten zu können, aber ich werde die Strecke ganz bestimmt auch im nächsten Jahr wieder wandern.
Diese Wanderung stelle ich Ihnen demnächst ausführlich auf unserer Partnerseite www.reiseziele.ch vor, die auch auf Facebook vertreten ist.
Oberstes Bild: Mit der Gotthard-Postkutsche von Andermatt nach Airolo (© Paebi, WIkimedia, CC)