Das Märchenschloss Tarasp – auch nach rund 1000 Jahren noch bewohnbar

Auf einem spitzen Felsen thront im Unterengadin seit dem 11. Jahrhundert das mittelalterliche Schloss Tarasp und zieht alle Blicke auf sich. Eine Burg wie aus dem Märchenbuch erhebt sich vor den imposanten Bündner Bergen, ein lohnenswertes Ausflugsziel für alle Freunde von mittelalterlichen Bauten.

Dieses Mal stelle ich Ihnen jedoch keine Burgruine vor, sondern ein hervorragend gepflegtes Gebäude, ein denkmalgeschütztes Kulturobjekt von nationaler Bedeutung und gleichzeitig das Wahrzeichen des Unterengadins. Dass sich Schloss Tarasp heute in diesem hervorragendem Zustand befindet, ist vor allem einem Mann zu verdanken: Karl August Linger aus Dresden. Aber der Reihe nach … die Schlossgeschichte begann schliesslich schon vor fast 1000 Jahren:

Im 11. Jahrhundert zogen die Herren von Tarasp aus der Region des Comersees ins Engadin und liessen sich in der Burg, welche erstmals 1090 erwähnt wurde, nieder. 1230 gelangte diese in den Besitz von Graf Albert von Tirol. Da das Unterengadin aber zum Bistum Chur gehörte, gab es immer wieder Auseinandersetzungen mit den Tiroler Grafen. Wie die meisten Burgen wechselte auch die Burg Tarasp mehrfach ihre Besitzer, bevor sie 1464 eine österreichische Grafschaft wurde, wovon bis heute der Reichsadler zeugt.


Ansicht von Dorf und Schloss Tarasp im Unterengadin im Kanton Graubünden, Öl auf Leinwand, 19. Jahrhundert (Bild: A. de Fontenay, Wikimedia)


Der Schwabenkrieg ging 1499 spurlos an der Burg vorbei, die Anlage war zu gut gesichert. Nicht schützen konnte sie sich allerdings vor Blitzschlag. Das Unwetter schlug gleich zweimal zu: 1335 und 1625 verursachten Blitze Brände, die bedeutende Schäden verursachten. Dazwischen hatte man Schloss Tarasp vergrössert und ihm als Grenzfestung seinen heutigen Umfang verliehen. Seitdem hat sie ihr Aussehen nicht mehr verändert. Napoleon schlug Tarasp 1803 dem neu gegründeten Kanton Graubünden zu. Dieser jedoch hatte weder Geld noch Interesse, die inzwischen runtergekommene Burg zu renovieren.

Für nur 500 Franken ging sie deshalb 1829 an einen Privatmann aus Scuol. Dieser behielt sie jedoch nicht lange, sodass sie in der folgenden Zeit verschiedene Besitzer hatte. Ernsthaftes Interesse an dem wundervollen Gebäude zeigte jedoch keiner. Es kam zu Plünderungen und die Burg verfiel immer mehr. Auf Märkten wurden nicht nur wertvolle Möbel und ein Teil der Holzvertäferung verhökert. Nicht weniger schlimm wüteten die Einwohner des Dorfes: Sie nutzen einen Teil der hölzernen Wehrgänge als Brennholz. Die Rettung kam letztendlich aus dem fernen Dresden. Der Industrielle Karl August Linger, Fabrikant des Odol Mundwassers, entdeckte das Schloss während eines Kuraufenthaltes. Entsetzt über den maroden Zustand des Gebäudes, kaufte er es für 20‘000 Franken und machte sich mit Leidenschaft daran, die einst stolze Burg zu renovieren und ihr ihren alten Glanz zurückzugeben.


Schloss Tarasp – auch nach rund 1000 Jahren noch bewohnbar (Bild: Shesmax, Wikimedia, CC)


Mit Prof. Rudolf Rahn hatte er den damals besten Burgenfachmann der Schweiz an seiner Seite. Natürlich gab es zu der Zeit noch keine kantonale Denkmalpflege, die dafür sorgte, dass die alte Bausubstanz erhalten blieb und das Schloss originalgetreu wieder hergestellt wurde. Dass dies trotzdem so vorbildlich geschah, ist Herrn Linger zu verdanken. Er scheute weder Kosten noch Mühe, aus alten Patrizierhäusern der Umgebung sowie Edelhöfen aus dem nahen Tirol die verloren gegangenen Täferungen und Möbel zu ersetzen. Er liess sogar im Waffensaal eine mächtige Konzertorgel der Dresdner Orgelfirma Jehmlich einbauen: Ein Instrument von unschätzbarem Wert!

Um sein Schloss errichtete Prof. Linger einen wundervollen Park mit tausenden Bäumen. Auch der See und der Schlosshügel wurden gepflegt. Alles war parat für den Empfang einer, wie es heisst, „schönen Frau“. Um wen es sich bei der Dame handelte, konnte ich allerdings nicht herausfinden. Leider kam es dazu nie und sein Traum, aus Schloss Tarasp ein klingendes Schloss zu machen, wurde ihm nicht mehr erfüllt. Kurz bevor er Wohnsitz auf seinem Schloss nehmen konnte, verstarb Herr Linger. Laut seinem Testament wäre König Friedrich August III., der letzte König Sachsens, der rechtmässige Erbe gewesen, der dieses jedoch ausschlug. So wurden der Grossherzog von Hessen und dessen Familie die neuen Besitzer, die liebevoll für Ihr Märchenschloss.


Schloss Tarasp im Winter (Bild: Aconcagua, WIkimedia, CC)


2008 hatte die Gemeinde Tarasp einen Kaufrechtvertrag mit der Familie abgeschlossen. Seitdem leistete sie alljährlich eine Defizitgarantie für den Unterhalt der Burg. Im Mai 2012 sollte der Kaufrechtsvertrag mit der Eigentümerfamilie von Hessen auslaufen. Um zu verhindern, dass an Privatpersonen verkauft wird und das Schloss künftig nicht mehr öffentlich zugänglich sein könnte, wurde im November 2010 die Stiftung Chasté da Tarasp gegründet. Sie konnte die Kaufrechtsvereinbarung verlängern und legte ein Betriebskonzept vor. Künftig soll im Schloss Tarasp ein Schulungs- und Konferenzzentrum untergebracht sein.

Wer Tarasp heute besucht, kann sich nur schwer vorstellen, dass das prächtige Anwesen einst zerfallen und ausgeplündert war. Besucher sind während der von Mai bis Oktober täglich stattfindenden Führungen willkommen. Ausserhalb dieser ist eine Besichtigung des Schlosses nicht möglich. Allerdings können Festsaal und Innenhof für private Feiern und Familienanlässe gemietet werden. Auch in der näheren Umgebung gibt es kulturhistorisch wertvolle Ausflugsziele: Hier befinden sich die unter Denkmalschutz stehenden Dörfli Guarda und Ardez und auch die berühmten, wertvollen Kirchenmalereien in Lavin sind absolut sehenswert.



Falls Sie nun Lust bekommen haben, Schloss Tarasp nicht nur zu besuchen, sondern es zu erwerben: Für 500 Franken ist es leider nicht mehr zu haben und auch für 20‘000 Franken bekommen Sie es nicht. Der heutige Wert liegt bei rund 15 Millionen Franken!

 

Oberstes Bild: Burg Tarasp – ein Schloss wie aus dem Märchenbuch. (© Roland Zumbühl, Wikimedia, GNU)

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