Ställe und Alphütten als kulturhistorische Zeitzeugen
VON belmedia Redaktion Allgemein Denkmalpflege
Auszeit vom Alltag, nicht jedoch von der Arbeitswelt. Denn der Job auf der Alp ist hart. Und doch schön, wie jene beweisen, die Jahr für Jahr im Frühsommer mit dem Vieh hinaufziehen und sich für ein paar Monate auf ein teils spartanisches Leben einstellen. Selbst dem Ausland melden sich Interessierte auf ausgeschriebene Schweizer Alpstellen. Akademiker, Studenten, Aussteiger. Manche geben schnell auf, andere finden ihre Passion.
Egal ob der Älpler oder die Älplerin nun schon das ganze Leben lang Sommer für Sommer mit den Rindern auf der Alp lebt oder noch mehr oder weniger Neuling ist, in einer topmodernen Hütte wohnt keiner. Was an Komfort in den letzten Jahren hinzukam, etwa ein WC oder ein bequemeres Bett, richteten sich die Bewohner selber ein. Gekocht wird immer noch auf dem alten Herd, der kräftig eingeheizt, auch für warmes Wasser sorgt. Am rustikalen Holztisch und auf der Eckbank sassen schon Generationen. Oft beginnt die Alpsaison mit dringend nötigen Reparaturen an Hütten und Ställen. Auch wenn in vielen Alphütten Internet und fliessend Wasser längst Einzug gehalten haben, scheint die Zeit doch irgendwie stehen geblieben zu sein.
Die meisten Hütten befinden sich in Privatbesitz und werden vom Besitzer in Schuss gehalten. Was aber, wenn Ställe und Hütten ausgedient haben oder so in die Jahre gekommen sind, dass eine nötige Instandsetzung das Budget des Bauern übersteigen würde? Leer stehende Ställe sieht man überall in der Schweiz. Wie viele es sind, weiss wohl niemand so genau. Was damit geschehen soll, ebenso wenig. Einig sind sich alle Verantwortlichen, seien es die Besitzer oder zuständige Behörden, darin, dass es die schlechteste Lösung wäre, die alten Gebäude dem Zerfall zu überlassen.
Mit dem Problem befassen sich unter anderem die Stiftung Landschaftsschutz, Bauernhausforscher, der Heimatschutz, die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete und die Schweizerische Vereinigung für Landschaftsplanung. Natürlich ist auch die Denkmalpflege gefragt, wenn es um schützenswerte Hütten geht. Im Tessin wurden etliche Rustici jahrzehntelang illegal umgebaut, um sie als Ferienhaus zu nutzen. Die Bauunternehmer freut es, den Heimat- und Landschaftsschutz nicht. Der charmante Charakter der alten Gebäude geht meist verloren und die nötigen Parkplätze, Zufahrten und Stromleitungen gehen auf Kosten der Natur und des Landschaftsbildes.
Ein Vorzeigeprojekt sind die Ställe auf Häderen im Alpsteingebiet: Eine Alpgenossenschaft hat hier drei charakteristische Ställe renovieren lassen. Fachgerecht und mit Rücksicht auf die alte Baukultur und das Landschaftsbild konnte diese Arbeit dank Heimatschutz, Denkmalpflege und Zuwendungen von privaten Stiftungen ermöglicht werden. Türen sowie Fensterläden wurden ersetzt und neue Schindeldächer angebracht. Aus alten Bruchsteinen entstanden neue Mauern. Ursprünglich war anstelle des kulturhistorisch wertvollen alten Gebäude-Ensembles ein Neubau geplant. Glücklicherweise konnten für die Rettung der Bauten, welche als schützenswert und regionaltypisch gelten, rechtzeitig die nötigen finanziellen Mittel aufgebracht werden.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie die Denkmalpflege ihre Verantwortung auch in den abgelegensten Bergregionen wahrnimmt, ist die Alp Pra San Flurin im Unterengadin. Hier steht eine der letzten ursprünglichen Alphütten der Region. Vor über 200 Jahren auf 1911 Metern Höhe oberhalb von Sent erbaut, wurde die Alp bis 1964 als Voralp für Rinder genutzt. Später sömmerte man hier Galtvieh. In den 70er Jahren kam ein Neubau hinzu: eine Hütte mit modernem Melkstand und einer Milchleitung hinunter ins Tal. Die alte Alphütte wurde damit im Grunde genommen nutzlos. Ihre sehr gut erhaltene Einrichtung mit Käse- und Milchkeller verlangte jedoch geradezu danach, die Alp als Zeitzeuge für die nachfolgenden Generationen zu bewahren.
Der Vorstand der Società d’Ütil public fasste 2002 den Entschluss, die Alphütte zu kaufen, um damit zu verhindern, dass sie Spekulanten in die Hände fällt. Privatpersonen, lokale Institutionen und das Kantonale Amt für Denkmalschutz halfen bei der Beschaffung der finanziellen Mittel. Die künftige Nutzung der Hütte war 2003, als der Kauf mit einem Alpfest gefeiert wurde, noch unklar. So war vorstellbar, ein kleines Alp- oder Käsereimuseum einzurichten. Nach meiner Recherche kann die Hütte heute privat für Anlässe gemietet werden.
Auch für weitere Projekte auf den Alpen stellt die Denkmalpflege Gelder zur Verfügung. Wenn ein Gebäude als schützenswert eingestuft wurde und der Eigentümer ein Gesuch stellt, wird dieses geprüft und bei Anerkennung ein Teil der Kosten übernommen. So unterstützte beispielsweise die Fachkommission Denkmalpflege in Appenzell Innerrhoden die Sanierung der Alphütte Fidler.
Die alten Hütten erzählen von vielen Jahren harter Arbeit im Einklang mit der Natur, den Tages- und Jahreszeiten. Ein Blick in die Hütte gleicht oftmals einer Zeitreise. Seien es in die Türpfosten geritzte Jahreszahlen, die weit zurückreichen, uralte Werkzeuge, die heute mehr zur Dekoration als zum Arbeiten dienen oder die Älpler selbst, die von früheren Zeiten berichten. Im Urnerland bat ein 84-jähriger Älpler meine Wandergruppe in seine Hütte, als er unser Interesse bemerkte. Bald sassen wir bei Kaffee Fertig und hörten gebannt dem alten Mann, der jeden Sommer seines Lebens dort oben verbrachte, zu, sahen Fotos aus längst vergangener Zeit. Es bleibt zu hoffen, dass diese alte Alp mit der urchigen Hütte auch dann noch geschützt wird, wenn der Älpler einmal nicht mehr dort oben sein kann und dass seine Geschichten nicht vergessen gehen.
Oberstes Bild: Es ist ein Anliegen der Denkmalpflege, die alten Alphütten und Ställe zu schützen (© Sabine Itting)