Das Schellen-Ursli Dorf Guarda – eines der architektonisch wertvollsten Dörfer der Schweiz
VON belmedia Redaktion Allgemein Denkmalpflege
Aber nicht nur durch das 1945 erschienene Kinderbuch von Selina Chönz und Alois Carigiet ist Guarda bekannt. Die typische Engadiner Baukultur und der besonders gut erhaltene Zustand des Dorfes wurden 1975 mit dem Henri-Louis-Wakker-Preis gewürdigt.
Guarda gilt als eines der architektonisch wertvollsten Dörfer der Schweiz, weshalb es unter nationalem Schutz steht. Besucher haben die Möglichkeit, sich mit der Geschichte und Architektur auf einem rund 1 ¼ Stunde dauernden geführten Dorfrundgang vertraut zu machen. Mit Blumen und Bemalungen geschmückt, prägen die bauchigen, mit Sgraffiti verzierten Häuser das Dorfbild. Denkmalpflege und Heimatschutz werden hier bestens von jenen unterstützt, die ihre Heimat liebevoll erhalten: Neben kreativen Menschen leben in Guarda Handwerker und Kunsthandwerker sowie engagierte Bauern. Sie alle sorgen dafür, dass die Einzigartigkeit ihres Dorfes erhalten bleibt.
Dass der Ort weitestgehend autofrei ist, verdankt er dem öffentlichen Parkplatz am Dorfeingang: Wer mit dem Auto anreist parkiert dort. Viel romantischer ist eine Fahrt mit der Rhätischen Bahn. Schon das Bahnhofsgebäude Guardas ist ein Schmuckstück. Auf dem Bahnhof geht es beschaulich zu und her, nicht viele Reisende klettern hier aus dem Zug. Während andere Engadiner Orte wirtschaftlich vom Tourismus profitieren und dabei ein stückweit ihre Identität aufgeben, erweist es sich für Guarda von Vorteil, dass der Ort nicht überlaufen ist und daher seine Ursprünglichkeit bewahren konnte.
Erstmals wurde das Dorf in einer Schenkungsurkunde aus dem Jahre 1160 erwähnt, damals noch als „Warda“. Der Ort war ein Geschenk der Edlen von Tarasp an den Bischof von Chur. Warda stammt aus dem Altgermanischen und bedeutet Warte. Worauf sich der Begriff bezog, ist nicht mit Sicherheit bekannt. Einerseits soll oberhalb des Dorfes vor Jahrhunderten ein alter Wachturm gestanden haben, anderseits könnte auch die Lage der Ortschaft gemeint sein: Die mittelalterliche Unterengadiner Strasse erreicht in Guarda ihren höchsten Punkt. Die Aussicht über das Inntal ist bis heute atemberaubend.
Die heutige Substanz Guardas geht auf die Zeit nach dem Österreicher-Sturm zurück. 1622 begann der Wiederaufbau. Für einen sinnvollen Denkmalschutz setzt sich heute die Stiftung Pro Guarda ein. Sie stellt sicher, dass Altes erhalten bleibt, ohne den Anschluss an die heutige Zeit zu verpassen. Neben dem Erhalt der mittelalterlichen, typischen Engadiner Gebäude, wird die Förderung von erneuerbarer Energie und die zeitgemässe Kommunikationsinfrastruktur unterstützt. Um die Lebensqualität im Dorf zu erhalten und zu fördern, handelt die Stiftung Pro Guarda im Sinne einer auf die Zukunft ausgerichteten Denkmalpflege.
Ein paar Projekte der Stiftung sollen im Folgenden vorgestellt werden:
Da ist zum Beispiel der Dorfladen. Das Lädelisterben ist leider in vielen Regionen zu beobachten. Der kleine Laden in Guarda stand Ende des vergangenen Jahrhunderts kurz vor seiner Schliessung. In einer so kleinen Gemeinde kommt ihm aber eine wichtige Funktion zu: Da zählt nicht nur die Versorgung mit alltäglichen Waren, sondern auch der Treffpunkt für einen Schwatz mit den Nachbarn. Der Dorfladen gehört zum Dorfleben einfach dazu. Pro Guarda half der Besitzerfamilie gemeinsam mit der Berghilfe bei der Modernisierung und unterstützte sie auch finanziell. Heute floriert das Dorflädeli und wird rege genutzt.
1985 kaufte die Pro Guarda Haus Nr. 87, ein für eine Familie geeignetes Wohnhaus mit fünf Zimmern. Dieses wurde renoviert und die Ställe ausgebaut. Dadurch bekam die Familie die Möglichkeit, eine Töpferei aufzubauen und einen Laden zu eröffnen. Damit wurde ihnen ermöglicht, im Dorf Fuss zu fassen. Dass das Projekt ein voller Erfolg war, zeigt sich auch daran, dass heute Keramikkurse angeboten werden und ein bis zwei Mitarbeiterinnen Arbeit in der Töpferei fanden. Somit konnte nicht nur die Familie selbst unterstützt werden, sondern wurde mehr Leben ins ganze Dorf gebracht.
Weitere erfolgreiche Projekte, welche die Stiftung mitfinanzierte und bei denen sie tatkräftige Unterstützung bot, sind beispielsweise der Sport- und Spielplatz, der im Winter sogar als Eisplatz genutzt werden kann. Erwähnenswert ist auch die Umgestaltung der Turnhalle zur Mehrzweckhalle. Um die Akustik zu verbessern, finanzierte Pro Guarda 1996 Vorhänge. Ein Ort für kulturelle Anlässe, wie ihn die Halle nun bietet, stellt eine Bereicherung für das ganze Dorf dar. 1989 erwarb die Stiftung das Inventar und die Webstühle einer Weberei aus Scuol. Damit konnte eine Familie unterstützt werden, die eine eigene Weberei, eine Korberei und den Heimatwerkladen in Guarda gründete. Heute hat sich das Geschäft deutlich vergrössert und die Familie konnte ein eigenes Haus erwerben.
An diesen Beispielen zeigt sich, dass Denkmalpflege direkt vor Ort helfen und viel erreichen kann. Pro Guarda setzt sich für Kultur, Tradition, Wirtschaftsförderung, Tourismus, Landschaft, Infrastruktur und Architektur ein. Die Geschichten und die Geschichte von Guarda müssen bewahrt werden, und gleichzeitig soll das Dorf eine Zukunft bekommen. Das kleine Engadiner Dorf Guarda, die Heimat des Schellen-Ursli, steht zu Recht unter nationalem Schutz und zeigt, wie modern es ist, alte Werte zu bewahren!
Oberstes Bild: Das Dorf Guarda gehört zu einem der wertvollsten Dörfer der Schweiz. (© Fritschichristian, Wikimeia, CC)