Entleerte Dorfkerne im Oberwallis – eine Region sorgt sich um die Zukunft ihrer Dörfer
VON belmedia Redaktion Allgemein Denkmalpflege
Früher führte dies zu wichtigen sozialen Kontakten, heute wird es als Sozialkontrolle empfunden. Auch viele Walliser bevorzugen Einfamilienhäuser mit eigenem Grundstück, welches ihnen mehr Privatsphäre sichert.
Was also soll mit den Plätzen und Gassen passieren, die trotzdem sie teilweise verwildert und ungepflegt wirken, noch immer ihren ganz besonderen Charme haben? Der Aufwand, ganze Dorfkerne zu sanieren ist enorm. Die Sektion Oberwallis des Schweizer Heimatschutzes nimmt sich gemeinsam mit der Denkmalpflege dieses Problems an. Dass Restaurieren und Sanieren der Zeitzeugen alter Walliser Kultur angestrebt wird, ist umso verständlicher, wenn man sieht, dass die Bewohner der Region anders als in den grossen Städten heute ihre Bräuche und Traditionen wieder aufleben lassen und pflegen.
Verlassene Quartiere und leer stehende, langsam zerfallende Gebäude rufen neben der Denkmalpflege auch Architekten und Ethnologen auf den Plan. Die Aufgabe ist keine einfache: Wo ist eine Sanierung sinnvoll, wo Abbruch unvermeidbar? In manchen Orten bildeten sich in den letzten Jahren Arbeitsgruppen, welche Privaten, Stiftungen und Vereinen die Möglichkeit geben, selbst aktiv an der Zukunft der eigenen Heimat mitzuwirken. Dabei geht es nicht nur um die bedrohten Gebäude, sondern auch darum, Besuchern die Kultur und Geschichte des Oberwallis nahezubringen. Das kann beispielsweise die Schaffung von Kulturpfaden sein oder die Umnutzung eines alten Walliser Hauses in ein Dorfmuseum.
Hier möchte ich als Beispiel das Wohnmuseum in Visperterminen nennen. Nach Voranmeldung ist eine private Führung möglich, welche ich sehr empfehlen kann! Das Museum war von 1701 bis 1985 eine Wohnung. Ich wurde auf den Rundgang von einer Person begleitet, welche selbst hier lebte und mit grosser Freude und Begeisterung vom Leben der Familie in diesem Haus und allgemein dem früheren Leben im Dorf erzählte. Die Funktionsvielfalt der Wohnung kann heute nur noch schwer nachvollzogen werden. Von der Geburt bis zum Tod bot sie ein Zuhause, hier wurde gearbeitet, gelebt, gebetet: Privatsphäre, wie wir sie heute kennen, gab es kaum.
Das Museum zeigt jedoch nicht nur die Geschichte einer Familie, sondern gibt einen berührenden Einblick in die damalige bäuerliche Wohnkultur und die Lebensumstände in den abgelegenen Walliser Dörfern. Anfassen der ausgestellten Einrichtungsgegenstände und Erinnerungen ist erlaubt und Fragen werden gerne beantwortet. Wer mag, darf sogar Teile einer alten Tracht probieren.
Als ich wieder auf der Strasse stand, brauchte ich einen Moment, um wieder in der heutigen Zeit anzukommen. Ich hoffe von ganzen Herzen, dass solche Zeitzeugen geschützt, gepflegt und auch den Generationen nach uns erhalten bleiben!
Der Verein „z’Tärbinu“, befasst sich als Trägerschaft des Wohnmuseums auch mit dem Kulturgut am Eingang des Vispertals. In diversen Weilern wurden Mühlen, Weinpressen und Kalköfen liebevoll restauriert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zudem ist er Mitglied im Museumsnetz Wallis, einem Verbund von partnerschaftlich zusammenarbeitenden Museen. Mit der Erschliessung einer dem Besucher bis dahin unbekannten Welt wird auf die Problematik der entleerten Dorfkerne und der ungewissen Zukunft vieler Dörfer aufmerksam gemacht.
Dass Alt und Neu nebeneinander existieren kann und sich marode Gebäude umnutzen lassen, zeigt das Beispiel von Naters. Hier stehen alte Ställe und Scheunen in unmittelbarer Nachbarschaft moderner Architektur. Das Aussterben alter Ortskerne ist natürlich nicht nur im Wallis ein Problem. Überall in der Schweiz, wie auch im Ausland, lässt sich dieser traurige Trend beobachten. Am Beispiel von Naters zeigt sich, wie man dem entgegen treten kann. Wirtschaftsgebäude, die vor Jahren noch leer standen, werden heute bewohnt. Die Philosophie des Heimatschutzes ist eigentlich recht einfach und sollte zur Nachahmung anregen: Alte Gebäude erhalten und dichter bauen, anstelle abreissen oder zerfallen lassen, und sich immer weiter im Grünen auszubreiten.
Nichts spricht gegen Neugestaltung, sofern das vorhandene bauliche Umfeld respektiert und integriert wird. Dass die beiden Ökonomiegebäude auf diese Weise umgenutzt werden konnten, ist dem Architekten Diego Clausen und dem Bauherren Kilian Carrarini zu verdanken. Sie konnten mit dem nötigen Fingerspitzengefühl im alten Dorfkern und in alten Gebäuden modernste Lebensqualität ermöglichen. Dass diese Wohnräume mehr Charme und Charakter aufweisen, als die modernsten Einfamilienhaus-Siedlungen am Stadtrand ist unbestritten. Herr Carrarini durfte für sein Werk 2005 den Oberwalliser Heimatschutzpreis in Empfang nehmen.
Bleibt zu hoffen, dass die Sehnsucht der Bevölkerung nach einem individuellen Zuhause und der Rückbesinnung auf alte Werte und Traditionen auch den Dörfern im Oberwallis zugutekommt. Oftmals ist es günstiger um-, statt neu zu bauen und darin könnte eine Chance für die Dörfer bestehen. Aktuell sieht es so aus, dass drei von zehn Personen im Wallis in den fünf grossen Gemeinden leben, besonders die Stadt Martinach erlebt ein rasantes Bevölkerungswachstum. Nur noch 13 Walliser Gemeinden werden von weniger als 200 Menschen bewohnt. Zehn davon befinden sich im Oberwallis.
Oberstes Bild: Kramplatz mit Krämerhaus in Naters, Oberwallis (© Joel.schmid, WIkimedia, CC)