Historische Eisenbahnen – eine Herausforderung für die Schweizer Denkmalpflege
VON Claudia Göpel Allgemein Denkmalpflege Projekte
Hand aufs Herz, wann waren Sie zuletzt in einem Eisenbahnmuseum? In der Schweiz gibt es acht davon. Die drei bekanntesten Museen, in denen Fans die Eisenrösser bestaunen können, befinden sich in Luzern, Graubünden und Zürich. Das nicht öffentliche Eisebahndepot für historische E-Loks befindet sich in Burgdorf. Hier sind persönliche Führungen nach Anmeldung möglich.
Die historischen Bahnen sollen rollen und nicht stehen
Lokomotiven sind Fahrzeuge und keine Stehzeuge, argumentiert der pensionierte Eisenbahnfan und Geschäftsführer der BLS enthusiastisch. Die BLS-Gesellschaft ist übrigens mit einer bereitgestellten Strecke in Normalspur von 440 Kilometern Länge die grösste Privatbahn der Schweiz. Der Name BLS geht auf die 1906 gegründete Berner Alpenbahngesellschaft BLS (Bern-Lötschberg-Simplon) zurück. Die BLS-Stiftung kümmert sich um den Erhalt und die Pflege der ersten elektrischen Leichttriebwagen, die bereits 1913 Güter- und Personenzüge mit 50 km/h über die Bergstrecke am Gotthard zogen.
Standort der BLS-Stiftung mit Geschäftsstellen in Luzern und Bern ist das Depot der Emmentalbahn in Burgdorf. Dort kümmern sich ehrenamtliche Helfer um die Pflege der historisch wertvollen E-Loks. Die Stiftung sammelt, dokumentiert und präsentiert die Pionierleistungen der heutigen modernen Eisenbahnen und verfügt über mindestens ein Exemplar aller Lokgenerationen der BLS. Fans von historischen Dampfloks fühlen sich vielleicht benachteiligt, was die Stiftungsziele angeht. Aber für Dampfloks wie die „Tigerli“ sind andere Stiftungen zuständig.
Doch warum sind die historischen Lokomotiven nicht häufiger auf den Schienen unterwegs, fragen sich Eisenbahnfans. Selbst wenn die E-Loks nicht, wie die historischen Dampfloks, rauchumwölkt durch die Landschaft rattern, möchten deren Liebhaber sie öfter fahren sehen. Die Denkmalschützer und Museumsfachleute argumentieren, dass die Maschinen zu sehr belastet werden würden. Stimmt das? Ein denkmalgeschütztes Haus, das nicht bewohnt wird, verfällt schneller. Ebenso dürfte es sich mit den historischen Lokomotiven verhalten. Nur Schmieren, Polieren und Präsentieren ist den Aktiven längst zu wenig.
Fahrendes Erlebnis: Der „Blaue Pfeil“ rollt wieder
Lokomotiven und Oldtimer können auch in Betrieb Denkmäler sein und zwar fahrende Denkmäler. So wurde im Frühjahr 2013 zur Tagung „Denkmal in Bewegung“ in Lausanne argumentiert. In denkmalpflegerischen Kreisen stösst diese Idee inzwischen auf offene Ohren. Die Betreiber und Bewahrer der Museumsbahnen suchen aktiv die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen der Denkmalpflege Wortwörtlich heisst es in dem Artikel der NZZ, „dass die Funktion integraler Bestandteil eines Objekts der Industriekultur ist, [und] Oldtimer und Lokomotiven auch in Betrieb Denkmäler sein können“.
Bei der Restauration und dem Einsetzen als fahrendes Denkmal hat der „Blaue Pfeil“ die Nase vorn. Hierbei handelt es sich um einen Doppeltriebwagen aus den 1930er-Jahren, bei dem trotz Fahrbetrieb die historische Substanz bestmöglich erhalten bleibt, auch wenn sich kleinere Umbauten nicht vermeiden lassen. Das Resultat ist nicht nur für die Lok selbst positiv, sondern auch für die ehrenamtlichen „Pfleger“. Wenn diese ihr Schmuckstück in Bewegung sehen, dann steigt die Motivation für zeitaufwändige Restaurationen.
Das Bundesamt für Verkehr muss toleranter werden
Denkmal er- und beleben, lautet die Devise. Dass ein historischer Triebwagen nicht die modernen Richtlinien erfüllen kann, ist selbst einem Laien klar. Deshalb gibt es bei der Zulassung historischer Fahrzeuge Zugeständnisse. Ein gravierender technischer Umbau würde die Besitzstandswahrung verhindern. Deshalb müssen die alten Loks „nicht in allen Teilen den heute geltenden Vorschriften entsprechen, wenn nachgewiesen werden kann, dass das Fahrzeug betriebsfähig ist“, heisst es in dem Gesetz. Somit wird eine grosser Teil der historischen Substanz erhalten.
Dem Wunsch, historische Bahnen öfter in Betrieb zu setzen, steht die starke Nutzung des Schweizer Schienennetzes entgegen. Die logistischen Herausforderungen sind enorm. Die Museumsbahnen werden deshalb ins Schweizer Umland abgedrängt: ins Zürcher Obertal, auf die Gotthard-Bergstrecke und ins Emmental. Die Befürworter plädieren jedoch dafür, dass die alten Bahnen auch weiterhin im öffentlichen Schienennetz eingesetzt werden sollen. Die Eisenbahnfreunde wollen ihre Loks auch im Schweizer Mittelland sehen.
Hierfür müsste allerdings das Schienennetz weiter ausgebaut werden. Der Denkmalschutz und die Museumsbahnen können diesen Investitionsbedarf nicht aufbringen.
Anmerkung des Autors:
Bei allem Verständnis für die Wünsche der Fans – doch wenn Verkehrssicherheit und reibungsloser Ablauf auf dem Schweizer Schienennetz nicht anders gewährleistet werden können, dann ist es doch besser, die historischen Bahnen auf Nebenstrecken fahren zu lassen, als gar nicht.
Ist Denkmalschutz nur am unbewegten Objekt möglich?
Die kantonale Denkmalpflege hält sich laut Meinung von Herrn Elsasser bedeckt und verweist auf die denkmalpflegerische Gesetzgebung. Lokomotiven würden sich nicht unter Denkmalschutz stellen lassen, weil sie den kantonalen Denkmalbereich fahrend verlassen könnten. Diese Aussage klingt wie ein Schildbürgerstreich. Dass es auch anders geht, beweist der Kanton Bern. Hier sind technische Kulturgüter selbstverständlich erhaltenswert und die Denkmalpflege am bewegten Objekt wird unterstützt.
Eine Änderung der nationalen Gesetzgebung ist überhaupt nicht notwendig, doch der Bund muss sich verstärkt engagieren, fordert Herr Elsasser. Die Stiftung SBB Historic macht den Anfang. Sie hat sich dem Erhalt des „historischen Rollmaterials der Bundesbahnen“ verschrieben. Private Stiftungen und Lotteriefonds werden in Anspruch genommen, um die Inbetriebnahme historischer Bahnen finanziell zu unterstützen. Das Kantons- oder Ortswappen sollte eigentlich ausreichen, um diese Loks als kantonales Kulturgut klassifizieren zu können. Doch wie viele Loks verträgt der Schweizer Denkmalschutz?
Es ist nicht der Staat, der die Wertigkeit von Kulturgütern definiert, sondern die Bürger vor Ort entscheiden mit ihrem Engagement, was erhalten bleiben soll. Es fehlt die Aufstellung eines nationalen Inventars, das die noch zahlreich existierenden historischen Fahrzeuge auflistet, sodass sich potentielle Investoren informieren könnten. Jede Stiftung, jeder Kanton kocht ein eigenes Süppchen. Hier ist eine Verknüpfung erforderlich, damit der Denkmalschutz nicht dem Bedarf davonfährt – oder umgekehrt.
Einmal Schrott – immer Schrott
Fehlentscheidungen müssen künftig vermieden werden, fordert Herr Elsasser eindringlich und verweist auf das Beispiel der Rangier-Dampflokomotiven vom Typ E 3/3, bekannt unter dem Namen „Tigerli“, von denen mit Hilfe der kantonalen Denkmalpflege und vieler privater Investoren ein gutes Dutzend erhalten werden konnten, während zahlreiche andere Dampflokomotiv-Typen unwiederbringlich verschrottet wurden.
Quelle: http://www.nzz.ch/mehr/verkehr/zu-wenig-zuege-fuer-zwoelf-tigerli-1.18357783
Oberstes Bild: Historische Züge sollen wieder häufiger auf dem Schweizer Schienennetz rollen. (© Didier Duforest, Wikimedia, GNU)