WC-Notstand in Bern – was hat die Denkmalpflege damit zu tun? Teil 1
Wenn man(n) nach Beizenschluss unterwegs ist, dann muss eben auch mal eine Hausecke oder ein Hauseingang als Pissoir herhalten. Nicht nur die sommerliche Hitze, auch die Denkmalpflege verschärft das geruchsintensive Problem.
Dies ist ein Bericht über den WC-Notstand in Bern in zwei Teilen. Hier das Inhaltsverzeichnis:
Teil 1: WC-Notstand in Bern – was hat die Denkmalpflege damit zu tun?
Teil 2: WC-Notstand in Bern – was hat die Denkmalpflege damit zu tun?
Das stinkt zum Himmel – Berner Bürger sind empört und ratlos
Am Wochenende ist Bern in Feierlaune. Die Berner Innenstadt auf der Aare-Halbinsel lädt mit Bars und Cafés zum abendlichen Schwadronieren ein. Wenn es Zeit ist, nach Hause zu gehen, nutzen die Leute das milde Wetter zu nächtlichen Spaziergängen – mit geruchsintensiven Folgen. Aus vielen Hauseingängen strömt penetranter Uringeruch. Manche Gebäude scheinen besonders beliebt zu sein. An Laubenpfeilern, Mäuerchen und in mehr oder weniger versteckten Ecken sind Pfützen und Rinnsale zu sehen, die im Sonnenlicht schimmern – und stinken. Auf der Grossen Schanze muss der Urin nachts in Strömen fliessen: Am Uni-Hauptgebäude scheinen die Blumenrabatten und die Veloparkplätze die bevorzugten Orte für nächtlicher Pisser zu sein. Dementsprechend duftet es. Selbst Hunde mögen hier nicht mehr das Bein heben. Die Konkurrenz ist zu gross.
Neuerdings lässt die Stadtverwaltung am Wochenende drei Plastikpissoirs und fünf Toilettenhäuschen aufstellen. Ein Tropfen auf den heissen Urinstein! Es handelt sich um ein Pilotprojekt der Stadt Bern, das bereits im vergangenen Herbst vorgestellt wurde und soll zeitlich begrenzt sein. Hierfür wurde extra ein Konzept von den Stadtplanern entwickelt – mit dem sinnigen Namen „Konzept Nachtleben“. Die Umsetzung, in diesem Fall die Hinsetzung der mobilen Toiletten, dauerte von der Planung bis zur Ausführung mehrere Monate. Auch die Uni beteiligt sich am Projekt „Toiletten-Notstand“ und stellte zwei mobile WC-Container vor dem Hauptgebäude auf. Die Toiletten sollen oder dürfen bis Ende Juli bleiben und müssen verschwinden, wenn die Hitze auch in der Schweiz am drückendsten wird. Und dann?
Die Stadt Bern schloss 2004 zahlreiche öffentliche Toilettenanlagen
Niemand weiss, wie es danach weitergehen soll. Die Berner Bewohner der Innenstadt stellen sich schon mal auf einen geruchsintensiven Sommer ein. Schuld an der Misere soll der städtische Denkmalpfleger Jean-Daniel Gross sein, der aus denkmalpflegerischen Gründen die himmelblauen Plastikhäuschen nicht mehr dulden will. Im Klartext: Die Optik passt nicht ins Bild! Die Stadt bürdet zum Beispiel den Berner Gastwirten strenge Auflagen auf. Sie dürfen keine Plastikstühle auf öffentlichem Grund aufstellen, auch bunte Farben sind nicht erlaubt. Sonnenschirme und Markisen müssen ins Stadtbild passen und neutral gefärbt sein. Diese Auflagen stehen im krassen Widerspruch zu den unattraktiven Toilettenhäuschen. Also müssen sie weg, meint der Denkmalpfleger.
Mit seiner Meinung steht er trotz seines wichtigen Amtes ziemlich allein da, denn die Stadt hat gar keine andere Wahl, als die hellblauen Häuschen aufzustellen, um die Urinflut einzudämmen. Mit der Schliessung zahlreicher öffentlicher Toiletten vor zehn Jahren haben sich die Stadtoberen buchstäblich selbst ans Bein gepisst. Diese unflätige Ausdrucksweise ist durchaus berechtigt, denn von den betroffenen Berner Bürgern bekommen die Verantwortlichen noch ganz andere Dinge zu hören. Das WC-Konzept aus dem Jahre 2004 gehört ins Klo! Denn damals hat die Stadt beschlossen, weniger öffentliche Toiletten für die Bürger und Besucher der Stadt Bern anzubieten. Die Verbliebenen sollten dafür besser, schöner und sauberer sein.
Der Versuch ist gründlich missglückt. Wenn die Blase drückt, dann nützen auch die schönsten Toiletten nichts, wenn es davon zu wenige gibt. Von den ehemals knapp 60 öffentlichen WC-Anlagen sind noch 30 übrig. Davon sind acht Anlagen nur Pissoirs, also für Damen ungeeignet. Für eine Stadt mit 124.000 Einwohnern, die wöchentlich mehrere tausend Touristen begrüsst, stehen demnach nur 22 voll funktionstüchtige Toiletten für Männer und Frauen zur Verfügung. Das stinkt tatsächlich zum Himmel! Die verzweifelten Blicke der Ortsunkundigen auf der Suche nach einem Örtchen, an dem sie sich erleichtern können, sprechen Bände. Einige Warenhäuser und Restaurants sind bereits zu öffentlichen Toiletten mutiert.
Wann ist eine Ende des Toiletten-Notstandes in Bern in Sicht?
Das Warenhaus Loeb und das Migros-Restaurant in der Marktgasse werden täglich von WC-Suchenden überflutet. Die Schlange derer, die dringend mal müssen, ist unübersehbar und verschreckt die übrigen Kunden. Andere, kleinere Läden und Cafés in der Altstadt öffnen ihre Toiletten nur für zahlende Gäste. Die Läden haben ohnehin spätestens ab 22.00 Uhr geschlossen. Auch die einzige Ausweichmöglichkeit, das Bahnhofsklo, hat nicht rund um die Uhr geöffnet. Ausserdem kostet einmal Erleichtern zwei CHF. Viele Wildpinkler sehen gar nicht ein, dass sie für die Entsorgung eines halben Liters Bier das drei- oder vierfache des Lokalpreises zahlen und dafür auch noch anstehen sollen. Also stinkt Bern weiter.
Wie lange der Toiletten-Notstand noch anhält, ob sich bald eine Verbesserung der unerträglichen Lage abzeichnet und welche Berner Sehenswürdigkeiten und Baudenkmäler trotzdem einen Besuch wert sind (weil sich ein öffentliches WC in der Nähe befindet), erfahren Sie im zweiten Teil dieses Berichts.
Oberstes Bild: WC-Notstand in Bern (© Helvetas / Michael Zingg)