Stiftsbezirk St. Gallen – Kleinod der Schweizer Denkmalpflege

Der Name St. Gallen geht zurück auf den irischen Mönch und Heiligen Gallus, der sich im Jahr 612 an der Steinach niederliess und dort eine Einsiedlerei gründete. Die eigentliche Gründung des Benediktinerklosters erfolgte um 719 durch den später ebenfalls heilig gesprochenen Otmar. Im Laufe seiner wechselvollen Geschichte wuchs St. Gallen seit 1468 zu einem mächtigen Klosterstaat heran. Die bauliche Ausprägung der Anlage ist ein einzigartiges Beispiel für die 1’200 Geschichte seit seinem Bestehen und ein Kleinod der Schweizer Denkmalpflege.

Bis 1798 war St. Gallen eine Fürstabtei. Der jeweilige Abt bekleidete gleichzeitig das Amt eines Reichsfürsten und hatte in dieser Funktion einen Sitz und eine Stimme im Reichstag des Heiligen Römischen Reiches. Infolge der Französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen wurde es 1805 endgültig aufgehoben.

Ihr „Goldenes Zeitalter“ erlebte die Abtei von 812 bis zum Einfall der Ungarn im Jahr 926. 818 erhielt sie von Ludwig dem Frommen das Immunitätsprivileg. Die Mönche richteten ein Scriptorium ein, das im Laufe der Zeit viele wissenschaftliche und religiöse Manuskripte von sehr hohem Rang produzierte. Die Bibliothek des Stifts ist seit 820 bekannt. Unter anderem entstanden hier die bekannten „Gesti Caroli Magni“ des herausragenden Dichters und Gelehrten Notker von St. Gallen, verschiedene Psalter, Evangelien und andere Zeugnisse der karolingischen Buchmalerei.


Rekonstruktionszeichnung des Klosters Sankt Gallen nach dem Grundriss des Sankt Galler Klosterplans aus dem frühen 9. Jahrhundert (Bild: J. Rudolf Rahn, WIkimedia)


Das heutige Erscheinungsbild des Stiftsbezirks samt Kathedrale, Bibliothek, Archiv und den übrigen Sehenswürdigkeiten stammt zum grössten Teil aus der Zeit des Barock. Nicht zuletzt durch die Ernennung zum UNESCO Weltkulturerbe im Jahr 1983 steht das Kloster St. Gallen im besonderen Blickpunkt der Denkmalpflege.

Das Konzept für die Anlage schuf der damalige Abt Ulrich Rösch bereits im späten Mittelalter. 1566/67 entstand die Ringmauer um das Gelände, gefolgt von einer regen Bautätigkeit im 17. Jahrhundert. In dieser Zeit wurden die Otmarskirche, der Hofflügel und der östlich gelegene Kreuzgangflügel errichtet. Der repräsentative Ausbau zu einer fürstäbtischen Residenz erfolgte dann ab etwa 1755 durch die Äbte Cölestin von Staudach und Beda Angehrn

Die doppeltürmige Kathedrale mit ihrer beeindruckenden Fassade entstand im späten Barock zwischen 1755 und 1767. Prachtvoll ist auch die üppige Innenausstattung. Insgesamt handelt es sich um einen der letzten klösterlichen Monumentalbauten der Barockzeit in Europa. Zuvor standen an ihrer Stelle verschiedene Kirchen, die sämtlich als architektonische Spitzenleistungen ihrer Zeit angesehen wurden.

Der Barocksaal der Bibliothek kann auch mit einer reichen Rokoko-Dekoration aufwarten. Für die Aufnahme in die UNESCO Liste und ihre weltweite Berühmtheit ist vor allem der Bestand an frühmittelalterlichen Original-Manuskripten entscheidend. Mehr als 160’000 Bücher werden hier verwahrt, darunter über 400 Schriften, die mehr als 1’000 Jahre alt sind. Bis heute ist die Stiftsbibliothek eine aktive Bibliothek.


Barocksaal der Stiftsbibliothek St. Gallen (Bild: Stiftsbibliothek St. Gallen, Wikimedia, CC)


Wichtig für Geschichte und Forschung sind ebenfalls die Urkunden des vormaligen Klosters im Stiftsarchiv. Die rund 1’000 Originaldokumente aus den Jahren 700 bis 1000 machen den Löwenanteil am Weltkulturerbe von St. Gallen aus. Darüber hinaus beherbergt die Anlage seit 1803 das Staatsarchiv St. Gallen, seines Zeichens das grösste in der Ostschweiz, mit vielen staatlichen Dokumenten und verschiedenen Privatarchiven.

Verbrüderungsbuch von St. Gallen (9. Bis 11 Jahrhundert), in dem die Gebetsbrüderschaften der mittelalterlichen Klöster aufgezeichnet sind. (Bild: Albärt, Wikimedia, CC)


Zeugnisse für die lange Historie und Kultur der Abtei – und Teil des UNESCO Weltkulturerbes – sind noch das Karlstor und das Lapidarium. Das im Osten des Bezirks gelegene Karlstor wurde 1569/70 errichtet. Der Name geht auf den Mailänder Bischof Carlo Bartolomeo zurück, der es angeblich als Erster durchschritten hat. Es ist heute das einzig erhaltene von ehemals elf Toren der Stadtmauer. Das barocke Kellergewölbe des Klosters enthält das Lapidarium (vom lateinischen Wort „lapis“ für „Stein“). Hier sind u. a. Plastiken aus den Beständen der Abtei aus karolingischer, ottonischer, gotischer und frühbarocker Zeit ausgestellt, die das vielfältige Leben und die 1’000 Jahre alte Geschichte sichtbar machen, ergänzt durch wechselnde Präsentationen der Bibliothek.

Auch nach der Aufhebung des Klosters 1805 erfuhr das Stift einige sehr markante Veränderungen an der Bausubstanz. Ein Wohnhaus und ein neues Markthaus, der Abbruch der Schiedmauer zwischen Stadt und Kloster und des ehemaligen Schuh- und Schmalzhauses gaben dem Stift ein neues Gesicht. Darüber hinaus entstanden im 19. Jahrhundert noch das Zeughaus, ein katholisches Schulhaus sowie eine Kinderkapelle, auch Schutzengelkapelle genannt. Die letzten drei Gebäude stammen aus der Feder des Architekten Felix Wilhelm Kubly.


UNESCO Weltkulturerbe Stiftskirche in St. Gallen (Bild: V 200, Wikimedia, CC)


Im 20. Jahrhundert wurden umfangreiche Restaurierungen notwendig. Die Kathedrale wurde aussen (1928 bis 1936) und innen (1961 bis 1967) komplett renoviert, das Zeughaus in den 1970er Jahren. Später folgten der Grossratssaal, das Lapidarium, die Pfalz und der Hofflügel, anfang dieses Jahrhunderts nochmals die Aussenfassade der Kathedrale. Trotz aller verschiedenen Baumassnahmen über die Jahrhunderte hat der Komplex bis heute seine Einheitlichkeit bewahrt. Der hufeisenförmige Klosterhof und die Stiftskirche dominieren das Ensemble allerdings entscheidend. Auf sie richtet sich auch das Hauptaugenmerk der Denkmalpflege sowie die Ernennung zum UNESCO Weltkulturerbe.

 

Oberstes Bild: Stiftsbezirk St. Gallen aus der Vogelperspektive (Bild: Hansueli Krapf, Wikimedia, CC)

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hat Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert und ist zusätzlich ausgebildeter Mediendesigner im Segment Druck. Er schreibt seit über 30 Jahren belletristische Texte und seit rund zwei Jahrzehnten für Auftraggeber aus den unterschiedlichsten Branchen.

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