Gefährdete Kulturgüter aus dem Spätmittelalter in Schwyz
VON Ulrich Beck Denkmalpflege Denkmalschutz
Die Denkmalpfleger trauten anfangs ihren Augen nicht, als hinter einer Täfelung in der ehemaligen Mühle plötzlich ein Fenster aus dem späten Mittelalter auftauchte. Daraufhin wurden die vom Abriss bedrohten Gebäude genauer unter die Lupe genommen. Die zweite grosse Überraschung fanden die Denkmalpfleger schliesslich in einem Nachbarhaus: eine original erhaltene Wohnstube von 1310, verschiedene Wandmalereien aus der Zeit um 1520, eine historische Münze sowie einen alten Lederbeutel.
Baurelikte dieser Art aus der Zeit um 1300 sind eine Seltenheit, aber so sensationell der Fund auch ist, ob er in seiner Gesamtheit Bestand haben wird, ist derzeit äusserst fraglich. Denn leider gibt es ein gravierendes Problem: Der neue Gestaltungsplan für das Dorfbachquartier ist seit Mai 2013 beschlossene Sache. Die derzeitige Eigentümerin will die beiden Fundorte und die übrigen drei Häuser im Dorfbachquartier abreissen und an der Stelle Neubauten errichten. Zudem sind die Gebäude, wie sie sich bislang präsentiert hatten, nicht im kantonalen Schutzinventar aufgeführt.
Von Rechts wegen gibt es also eigentlich keinerlei Handhabe, gegen den Abriss vorzugehen und den Erhalt zu sichern. Trotzdem hat der Schweizer Heimatschutz kurz nach Bekanntwerden des Fundes den Regierungsrat des Kantons aufgefordert, einen sofortigen Baustopp zu verkünden und bei der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege ein Gutachten einzuholen. Im Zweifelsfall müsse sogar der abgesegnete Gestaltungsplan korrigiert werden.
Der Schweizer Heimatschutz begründete seine Forderungen mit dem Argument, es handele sich bei den beiden Objekten aus dem Mittelalter um nationales, wenn nicht sogar internationales Kulturgut, dass unter allen Umständen gerettet werden müsse. Während die kantonale Denkmalpflege sich mit der Eigentümerin beriet, wie die historischen Schätze zu bergen seien, meldete sich ein Interessent aus Luzern, der den Komplex kaufen und die mittelalterlichen Bauten renovieren will.
Der Anwalt ist schon öfter in Erscheinung getreten, wenn es darum ging, Kulturgüter und historische Gebäude in der Zentralschweiz zu erhalten. Er könne sich auch vorstellen, so der Anwalt, nur einen Teil der Liegenschaft zu erwerben, den historischen Kern freizustellen und ein kleines Museum daraus zu machen.
Mitte November gab der Regierungsrat seinen Beschluss bekannt – eine Kompromisslösung. Nach einer Interessenabwägung zwischen Möglichkeiten des Erhalts der historischen Zeugnisse und dem Vertrauensschutz der Bauherrschaft entschied der Regierungsrat, dass die mittelalterlichen Bestandteile ausgebaut und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen, der Gestaltungsplan aber insgesamt bestehen bleibt. Das bedeutet am Ende also Abriss und Neubau. Für die Massnahmen zum Erhalt der historischen Substanz stellt der Regierungsrat 150’000 Franken aus dem Lotteriefonds zur Verfügung.
Der Schweizer Heimatschutz reagierte wiederum ablehnend auf den Bescheid. Stattdessen forderte er alle Beteiligten auf, sich an einen Runden Tisch zu setzen. Regierung, Denkmalpflege, Eigentümerin, Kaufinteressent und Heimatschutz sollten gemeinsam über eine Lösung nachdenken, wie das wertvolle Kulturgut geschützt und gleichzeitig die bauliche Entwicklung im Dorfbachquartier weitergebracht werden könne, zumal das Kaufangebot des Luzerner Anwalts eine echte Alternative zu den bisherigen Planungen darstelle.
Der Präsident des Heimatschutzes appellierte in einem offenen Brief an den Regierungsrat eindringlich, die beiden Häuser in Gänze zu erhalten. Seiner Meinung nach könne es nicht angehen, dass man 2015 einerseits das 700-jährige Jubiläum der Morgarten-Schlacht feiern wolle, anderseits aber einzigartige Zeugnisse gerade aus der Zeit abreisse.
Parallel erinnerte der Schweizer Heimatschutz an eine ähnliche Situation im Jahr 2001, als mit dem Haus Nideröst, ebenfalls in Schwyz, das damals älteste Holzhaus Europas mit einem Baukern aus dem Jahr 1176 abgetragen und eingelagert wurde. Nach langem Hin und Her soll es zwar demnächst an anderer Stelle wieder aufgebaut werden, allerdings betragen die Kosten für die Neuerrichtung und für den laufenden Unterhalt in den nächsten 20 Jahren mindestens 1’000’000 Franken.
Die Relikte von Haus Nideröst befinden sich im Besitz der „Stiftung der Schweizer Schuljugend zur Erhaltung des Schlachtfeldes von Morgarten“, kurz: Morgarten-Stiftung. Sie kümmert sich um das Gelände der Morgartenschlacht, um es für zukünftige Generationen zu bewahren. Die Kosten für den Wiederaufbau von Haus Nideröst sollen über Spendensammlungen zusammmengebracht werden.
Im Zusammenhang mit den beiden mittelalterlichen Häusern im Schwyzer Dorfbachquartier verwies der Geschäftsleiter des Schweizer Heimatschutzes auf einen weiteren, aktuellen Fall im Kanton Schwyz. Das Quartier Rigigasse in Küssnacht soll ebenfalls umfassend umgebaut werden. Der dortige Bezirksrat hat allerdings den entsprechenden Gestaltungsplan bewilligt, ohne die fälligen Untersuchungen durch die kantonale Denkmalpflege vornehmen zu lassen.
Die Bedeutung und das Alter der Häuser in Küssnacht wurde in der Baubewilligungsphase nicht festgestellt, sagte der Geschäftsleiter, der Bezirksrat habe somit ohne Sorgfalt gehandelt und gegen Bundesrecht verstossen. Die Denkmalpflege wurde zwar inzwischen eingeladen, zu dem Gestaltungsplan Rigigasse Stellung zu nehmen, aber wahrscheinlich werden wie im Dorfbachquartier in Schwyz auch hier bald die Abbruchbagger bereitstehen bzw. mit ihrer Arbeit beginnen, wenn die beteiligten Parteien sich nicht in letzter Minute einigen können.
Oberstes Bild: Darstellung der Morgarten-Schlacht von 1315 (Bendicht Tschachtlan, um 1470).