Eine Spinnerei wird zum Streitobjekt - die Schönau in Wetzikon

Eigentlich galt das Projekt seit mehreren Jahren bereits als allseits beschlossene Sache. Die Bebauungspläne waren ausführungsreif, die Investitionsgelder standen bereit, allerdings war die Baubewilligung noch nicht rechtskräftig. Nach der jüngsten Initiative des Architekten Roland Leu stellt sich nun aber auch die Gemeindeversammlung gegen die Pläne. Die Rede ist von dem Gelände der ehemaligen Spinnerei Nagel in Wetzikon, der Schönau, einem bedeutenden Ensemble aus der Frühzeit der Industrialisierung.

Seit 1997 stehen die Gebäude der Spinnerei im kantonalen Inventar und damit unter dem Schutz der Denkmalpflege. Das Gelände drumherum ist allerdings als Bauzone ausgewiesen und seit 2010 im Besitz eines grossen Immobilienunternehmens.

Nach dessen Plänen sollen dort in nächster Zukunft mehrere Wohnblöcke entstehen, die sehr nah an die Spinnerei heranreichen würden. Architekt Leu will mit seiner Initiative verhindern, dass der Blick auf die Schönau verbaut wird. Anfangs beurteilte der Gemeinderat Leus Ansinnen als rechtsmissbräuchlich und erklärte es für ungültig. Im April dieses Jahres kam der Bezirksrat Hinwil jedoch zu einen gegenteiligen Entscheid und beschloss die Vorlage an die Stimmberechtigten. Gegen das im März eingereichte und vom Gemeinderat Wetzikon bewilligte Baugesuch des Immobilienunternehmens gingen anschliessend mehrere Rekurse ein.

Worum geht es genau? Die Schönau in Wetzikon (Kanton Zürich) ist ein Fabrikareal aus dem 19. Jahrhundert und gilt als einmaliger Zeitzeuge des beginnenden Industriezeitalters in der Schweiz. Die Spinnerei gehört zu den ältesten Industrieanlagen im Zürcher Oberland und wurde 1823 von dem Makler Friedrich Nagel gegründet. Nagels damalige Berufsbezeichnung war übrigens „Speculant“, was in jener Zeit aber wertneutral gebraucht wurde. Darüber hinaus war Nagel auch Besitzer des Schlosses Wetzikon, dessen Turm er praktisch als Steinbruch zum Bau der Fabrik benutzte. So entstand ein für diese Zeit typisches Ensemble aus Fabrikgebäuden, Arbeiterunterkünften und der Villa des Eigentümers, das zu Recht unter die Fittiche der Denkmalpflege genommen wurde.

Das Gelände liegt, umgeben von einem kleinen Wald, mehreren Wiesen und einem Weiher, etwas erhöht auf einem Hügel und ist von weither sichtbar. Die Gebäude bieten Raum für Künstlerinnen und Künstler samt ihren Ateliers, für Musiker und ihre Proberäume, für kleine Gewerbebetriebe und Bewohner, die die immer noch bezahlbaren Mieten zu schätzen wissen. Die Naturlandschaft rund um die Schönau ist eine der letzten grünen Inseln im Ortsbild von Wetzikon. Viele Spaziergänger kommen täglich hierher, um die idyllische Stimmung zu geniessen. Direkt neben dem Hauptgebäude befindet sich ein Grabhügel aus vorchristlichen Zeiten, umrahmt von einem Wäldchen.

Den Gegnern der Schönau-Bebauung geht es einerseits um den Erhalt dieser Mischzone aus Natur und Kultur. Darüber hinaus befürchten sie – wohl nicht zu Unrecht – deutliche Mietpreissteigerungen im Zuge der Entwicklung. Für die kulturelle Szene in der Fabrik könnte das das Ende bedeuten, auch wenn der neue Besitzer zur Zeit noch das Gegenteil versichert.



Die Denkmalpflege des Kantons Zürich sieht das geplante Projekt als durchaus beispielhaften Ansatz für die Weiterführung eines historischen Ensembles. Vertreter des bürgerlichen Parteienlagers betonen, dass die Initiative von Roland Leu zu spät käme und mitten im Spiel die Regeln ändern wolle. Zudem könnten zukünftige Investoren von einem Engagement in Wetzikon abgeschreckt werden, wenn die bisherigen – und bereits genehmigten – Pläne abgeschmettert würden.

Die Gegner der Bebauungspläne glauben, dass diese im Widerspruch zu den schützenden Aufgaben der Denkmalpflege stehen. Die geplanten Wohngebäude verstellen ihrer Meinung nach den freien Blick auf eines der kulturgeschichtlich bedeutendsten Objekte im Ort. Sie wehren sich gegen eine Profitisierung und fordern frei heruas: „Schönau für alle!“ Parallel dazu werfen sie der Gemeinde Wetzikon vor, keine Anstrengungen für einen Erwerb des Areals unternommen zu haben, obwohl sie sich andererseits stark für das sogenannte Fjordprojekt einsetzt, das die Freiräume rund um den Fabrikweiher erhalten soll.

Der Grundstückseigner hält sich bisher noch weitest gehend zurück und wartet ab. Der Projektleiter des Unternehmens betonte, dass zwischen der Wahrnehmung der Öffentlichkeit und den Entscheidungen der zuständigen Behörden wohl eine grosse Kluft herrsche. Zudem wies er explizit darauf hin, dass der Schutz der ehemaligen Fabrik niemals zur Debatte gestanden habe. Die politische Brisanz des Vorhabens ist der Immobilienfirma durchaus bewusst. Andererseits aber, so stellte der Sprecher dar, werde man die Pläne für das Projekt nicht zurückziehen, ohne den gerichtlichen Beschluss abzuwarten. Dafür seien die bisherigen Investitionen zu gross gewesen.

Um die Gefühle und Meinungen der Gegner besser zu verstehen, muss man vielleicht auch einen Blick auf die jüngste geschichtliche Entwicklung von Wetzikon werfen. Im Lauf der Zeit ist die Gemeinde aus sieben einzelnen Dörfern zu einer ziemlich heterogenen Stadt herangewachsen, geprägt von vielen Neubauten ohne jeglichen architektonischen Charakter. Die Bevölkerungszahl hat allein in den letzten acht Jahren um 4’000 auf nunmehr knapp 24’000 Menschen zugelegt. Nebenbei bemerkt: Die Stadt rühmt sich, die längste Bahnhofstrasse der Welt ihr Eigen zu nennen. Wetzikon ist insgesamt keine Schönheit. Vielleicht kämpft die Initiative deshalb so massiv für einen Erhalt des Schönau-Areals.

 

Oberstes Bild: Ustermer Aa in Wetzikon. (Urheber: Roland zh / Wiki / Lizenz: CC)[vc_message color=“alert-info“]Den aktuellen Stand zur schrittweisen Entwicklung der Industrieareale im Aathal zeigt die Internet-Plattform www.visionaathal.ch.[/vc_message]

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hat Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert und ist zusätzlich ausgebildeter Mediendesigner im Segment Druck. Er schreibt seit über 30 Jahren belletristische Texte und seit rund zwei Jahrzehnten für Auftraggeber aus den unterschiedlichsten Branchen.

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